Sophokles

König Ödipus

(Oidipus tyrannos)

Personen.

Ödipus


Iokaste


Kreon


Teiresias


Ein Priester


Ein Bote


Ein Hirt des Laïos


Ein Diener


Chor thebanischer Greise
[396]


Vor dem königlichen Palast zu Theben. Um den Altar sitzt das Volk nebst den Priestern mit Ölzweigen in den Händen. Ödipus tritt aus dem Palast.


ÖDIPUS.

O Kinder, ihr des alten Kadmos neu Geschlecht,

Zu welcher Zuflucht kamet ihr dahergeschreckt,

Geziert mit Ölgezweigen Hilfeflehender?

Die Stadt erfüllt auch überall Rauchopferduft

Und auch mit Paianstönen rings Wehklagelaut.

Was nicht von Boten auszuforschen würdigend,

Ich, teure Kinder, selber mich hierherbegab,

In allem Volke rühmlich Ödipus genannt.

Du aber, Alter, rede, weil du würdig bist,

Ihr Wort zu führen; wessenhalb erschienet ihr?

Was fürchtend, was begehrend? weil ich sicher euch

In allem beistehn will und wär unfühlend auch,

Ohn innges Mitleid solches Flehn mita anzuschaun.

PRIESTER.

O meiner Landschaft Oberherrscher, Ödipus,

Du siehst, ein jeglich Alter sitzt, herzugedrängt,

Um deinen Altar: jene, die sehr weit annoch

Nicht fliegen mögen, diese schwer von Alter schon,

Die Priester, ich, Zeus' Diener; hier der Jünglinge

Auswahl; und Scharen andrer Zweigumschlungener

Umsitzen Pallas' Doppelhäuser dort und hier

Den ganzen Marktplatz, dort Ismenos' Seherherd.

Es schwankt die Stadt ja, siehst du selbst, schon allzusehr

Im Wogenaufruhr; vorzutauchen strebet sie

Aus Tiefen blutger Wogen schon umsonst das Haupt,

Hinschwindend stets mit jedem Keim der Erdenfrucht,

Hinschwindend auf den Triften, mit der Weiber auch

Fruchtlosem Kreißen; und dazu jagt stürmend noch

Die Stadt verhaßter Seuche feuerheißer Gott,

Der Kadmos' Wohnung leeret und verschwenderisch

Mit Klag und Wehschrein Hades' schwarzes Haus erfüllt.

Drum, zwar den Göttern nimmer gleich dich achtend, stehn[397]

Ich selbst und hier die Kinder deinem Herde nah,

Jedoch der Männer Ersten bei des Lebens Gang

Dich schätzend oder gottgesandten Fügungen,

Der, her zu Kadmos' Stadt gelangt, uns löste bald

Der grimmen Sängrin lange dargereichten Zins;

Und das, von niemand unser je belehrt dazu

Noch vorbereitet; nein, mit Götterhilf allein,

So sagt und glaubt man, hast du uns emporgelenkt.

Auch nun vor allen, Ödipus' gewaltig Haupt,

Umflehen dich nur diese Zufluchtsuchenden,

Uns Hilfe schnell zu finden, sei sie angezeigt

Durch Götterausspruch oder durch der Menschen Rat.

Denn stets Erfahrungsreichen lebt am meisten ja

In günstgem Schicksal, seh ich, auf ihr Ratbeschluß.

Auf, aller Menschen Bester, heb empor die Stadt,

Auf, sorge treulich; denn es preist zwar dieses Land

Dich schon Erretter für den vorgen Heldenmut.

Doch deiner Herrschaft denken einst wir nimmermehr,

Erst aufgerichtet, aber dann zurückgestürzt.

Nein, unzerrüttbar stelle nun die Stadt empor.

Mit guter Schicksalsvögel Zeichen gabst du erst

Uns Heil und Rettung; zeige nun dich wieder so.

Denn willst du herrschen, wie du tust, ob diesem Land,

Ist's schöner wahrlich menschenreich als ausgeleert.

Denn nichts gewißlich wäre Schiff noch feste Burg,

Geleert von Mannschaft, innen öd und unbewohnt.

ÖDIPUS.

O arme Kinder, wohlbekannt, nicht unbekannt

Ist euer Flehn mir alles. Wohl erkenn ich, daß

Ihr alle kranket, aber doch, ihr Kranken, ist

Der Euren niemand, welcher gleich mir selber krankt.

Denn euer Unheil trifft ja doch den einzelnen

Allein an sich nur, keinen sonst; und mein Gemüt,

Zugleich beseufzt es diese Stadt und mich und dich.

Drum nicht vom Schlafe weckt ihr mich Entschlummerten;

Vielmehr vernehmet, daß ich viel euch weinte schon

Und viele Pfade schon im Geist umher betrat;

Und ein Errettungsmittel, das ich ausgespäht,[398]

Versucht ich endlich. Denn Menoikeus' edler Sohn,

Mein eigner Schwager, Kreon, ward zum pythischen

Thron Phoibos' abgesendet, daß er forsche, wie

Wort oder Handlung diese Stadt befreien kann;

Auch sorg ich schon um diesen, zähl ich, seit er ging,

Der Zeiten Ablauf. Denn er weilt um vieles schon

Über die Vermutung länger, als sein Weg verlangt.

Doch wenn er ankommt, schnöde wär ich dann gesinnt,

Nicht gleich erfüllend, was der Gott andeuten mag.

PRIESTER.

Zum Glücke sprachst du wahrlich; denn schon winken ja,

Daß Kreon herwärts schreite, dort mir jene zu.


Kreon tritt auf.


ÖDIPUS.

O Fürst Apollon, mög er doch mit solchem Heil

Beglückend annahn, wie erfreut sein Auge glänzt!

PRIESTER.

Froh, nach dem Anschein, kommt er. Nicht umwände sonst

Sein Haupt bekränzend voller Lorbeerzweige Frucht.

ÖDIPUS.

Bald wissen wir's. Denn schon zu hören naht er uns.

O Herrscher, Blutsfreund, sprich, Menoikeus' edler Sohn,

Welch heilgen Ausspruch Gottes bringst du kommend uns?

KREON.

Heilvollen. Denn auch Mühbeladnes, mein ich, wenn

Zum Heil es nur sich endet, sei vollkommen gut.

ÖDIPUS.

Wie aber lautet's? Denn ich nahm nicht dreisten Mut

Noch banges Ahnen aus dem jetzt gesagten Wort.

KREON.

Wofern im Beisein dieser du's vernehmen willst,

So sprech ich; oder geh auch dort mit dir hinein.

ÖDIPUS.

Vor allen ruf es. Denn ich fühl um diese mehr

Der Leiden als um meines eignen Hauptes Heil.

KREON.

So sag ich alles, was der Gott mir kundgetan.

Es hieß der König Phoibos unzweideutig uns,

Der Stadt Befleckung, hier im Land ernährt, hinaus-

Zujagen, nicht zu pflegen Unaussühnliches.

ÖDIPUS.

Durch welche Säubrung? Welcher Art sei dieses Weh?

KREON.

Es landverjagend oder auch mit Morde Mord

Abstrafend; Blutschuld sei es, was dies Land bestürmt.

ÖDIPUS.

Den Todesunfall welchen Mannes deutet dies?[399]

KREON.

Es war, o König, dieser Stadt Anführer uns

Einst, ehe du dies Land erhobest, Laios.

ÖDIPUS.

Dies hört ich oftmals; denn ich sah nicht jenen mehr.

KREON.

Ob dessen Tode leget zweifellos der Gott

Uns auf, die Mörder durch das Schwert zu züchtigen.

ÖDIPUS.

Wo aber sind sie? Wer vermag hervorzuspähn

Der alten Untat schwerlich unterschiedne Spur?

KREON.

Im Lande, sprach er. Doch Gesuchtes läßt allein

Sich finden; stets entfliehet Unbeachtetes.

ÖDIPUS.

In seiner Wohnung oder auf dem Lande fiel

Oder in der Fremd in Mörderhände Laios?

KREON.

Den Gott zu fragen, zog er, wie er sprach, und ist

Seit dieser Abfahrt nimmermehr zurückgekehrt.

ÖDIPUS.

Kein Abgesandter, kein Genosse seiner Fahrt

Ersah's, von dem man forschend dies erkundigte?

KREON.

Sie fielen außer einem, der, aus Furcht entflohn,

Vom ganzen Vorgang eins zu sagen wußt allein.

ÖDIPUS.

Und was? Zu vielem spüret eins vielleicht den Weg,

Wird unsrer Hoffnung kleiner Halt nur dargereicht.

KREON.

Zutreffend Raubgesindel, sprach er, mordet' ihn,

Nicht eine Kraft nur, sondern vieler Hände Macht.

ÖDIPUS.

Wie hat der Mörder, war er nicht mit Goldeslohn

Hier angestiftet, solches Frevels Höh erreicht?

KREON.

So war der Argwohn. Nach dem Morde Laios'

In unsren Übeln aber ward kein Rächer ihm.

ÖDIPUS.

Welch Übel konnt euch hemmen, als so hingestürzt

Lag euer Herrschtum, solches auszukundigen?

KREON.

Es trieb der Wundersang der Sphinx, fürs Nächste nur,

Um so Verborgnes unbesorgt, umherzuschaun.

ÖDIPUS.

Doch dessen Ursprung decke nun ich selber auf.

Denn würdig hat uns Phoibos, würdig du zugleich

Für jenen Toten diese Sorg herzugeführt,

Daß ihr mit Recht mich schauen als Genossen sollt

Des Landes Leid aussühnen wie des Gottes Zorn.

Denn so, gewißlich nicht entfernten Freunden nur,

Nein, sicher schüttl ich solchen Greul mir selber ab.

Denn wer es war, der jenen Mann erschlug, gewiß[400]

Tut der auch mir wohl übel mit so kühner Faust.

Drum, jenem Beistand gebend, nütz ich mir zugleich.

Doch ohne Zögrung, Kinder, auf von eurem Sitz

Steht nun, die Ölgezweige rings emporgestreckt!

Ein andrer samml uns Kadmos' Volk unzögerlich,

Weil ich das Werk aufnehme. Glücklich weiset uns

Nun aus die Gottheit oder ganz hinabgestürzt!


Kreon ab.


PRIESTER.

Mit mir erhebt euch, Kinder! denn wir kamen ja

Deswegen, was uns jener nun verkündet hat.

Und dieser Kund Aussender, Phoibos, mag zugleich

Als Retter kommen und des Wehs Bewältiger.


Erste Strophe


CHOR.

Lieblich ertönende Rede des Zeus, von der güldenen Pytho

Was trägst du her zur strahlenden

Thebe? Von Zagen erstarr ich im Innersten, schreckengeschüttelt,

Heilbringender, Delier, Paian!

Scheuend in Ahnungen, was du mir heutiges

Oder in kreisendem Jahr zu beendigen

Dräuend verkündigest!

Sag es der güldenen Tochter, der Hoffnung, unsterbliche Phama!


Erste Gegenstrophe


Dich erst ruf ich, des Zeus unvergängliche Tochter, Athene,

Und dich, die Landumwaltende,

Artemis, die auf dem Markt von gerundetem Throne daherstrahlt,

Und Phoibos, den Treffenden, io!

Drei todwehrende Retter, erscheinet mir!

Wenn ihr zuvor, da vergangene Flüche die

Stadt mir bestürmeten,

Glücklich die Flamme der Not mir verjagetet, eilet auch nun her!


Zweite Strophe


Götter, schaut mich in ungezählter Not

Schrecknissen! Erkranket

Liegt mir jegliche Schar; und kein[401]

Speer der Erfindung

Wehrte den Nöten mir! Weder des edelen

Fruchtfeldes Geschlecht gedeiht,

Weder das Wehschrein der Qualgeburt

Zu besiegen vermögen die Weiber.

Und Schar auf Schar, wie

Das beschwingte Gevögel, erblickst du

Rascher denn gierigen Brand zu dem Strande sich

Des Dämmergottes stürzen.


Zweite Gegenstrophe


Deren stirbt mir ein ungezähltes Volk.

Jämmerlich bedecken

Weit das leichenbehäufte Feld

Sprößlinge klaglos.

Aber mit greisenden Müttern die Gattinnen

An heiliger Herde Strand

Jammern das Unheil, dorther und dort

Heilflehend mit stöhnendem Angstruf.

Und hell erstrahlet

In Geseufz und Geheule der Paian!

Dessen, o güldenes Kind des Olympiers,

Holdselge, send Erlösung!


Dritte Strophe


Des erglühten Ares Gewalt,

Der, unbewehrt von Schildeserz,

Mich brennt, mit schrecklichem Kampfgeschrei verfolgend –

In rückgewandtem Laufe, fern der Vaterstadt,

Hinab zum endlosen Bett

Stürm ihn der Amphitrite

Dort oder zu thrakischen, rauhen

Meerumwogten Buchten.

Denn was die Nacht uns übrigließ,

Nimmt der Tag uns immerdar.

Der glutvoller Blitze Kraft beherrscht, o Vater,

In des Donners Flammen, o Zeus, vertilg ihn!


[402] Dritte Gegenstrophe


Und Fürst Lykeios, von dir

Die Pfeile goldbewundner Wehr,

Die unbewältigten, möcht ich schaun versendet,

Dahergespannte Retter! Und den Fackelstrahl

Artemis', womit freudig sie

Lykische Berg hindurchstürmt!

Auch ruf ich den Goldengekrönten,

Welchen sein das Land nennt,

Weindunkler Bakchos, jauchzender,

Dich, der Mänasscharen Fürst,

Zu nahn ungesäumt in flammender Tanne Lichtbrand

Zu dem ehrentblößtesten Gott der Götter!


ÖDIPUS.

Du flehst; und was du flehest, das gewönnest du,

Mein Wort befolgend und des Übels pflegend, selbst

Gar bald: Erquickung und der Not Erleichterung –

Was ich, ein Fremdling diesem Ruf, ankündige,

Und fremd der Untat selber; denn nicht fern gewiß

Mocht ich's erspüren, aller Zeichen ganz entblößt.

So, diesen Bürgern der jüngste Bürger zugezählt,

Verkünd ich deutlich allem Kadmosvolke dies:

Wem euer irgend Kunde ward von Laios,

Labdakos' Erzeugtem, welcher Mann ihn mordete,

Denselben mahn ich, alles dies mir darzutun;

Auch wenn er fürchtet und der Mordbeschuldigung

Entschlüpfen möchte; denn er leidet weiter nichts

Unliebes, sondern ziehet unverletzt hinaus.

Wenn aber jemand fremd in fremdem Lande weiß

Des Mannes Mörder, der verschweig ihn nicht; er nimmt

Von mir den Lohn dann nebst der Dankbarkeit der Stadt.

Doch wenn ihr schweiget und, besorgt für seinen Freund,

Dies wer sich abwälzt oder für sich selber auch,

Was dann geschehn soll, dieses hört nun alle mir.

Den Mann verwehr ich, wer er sei, hier irgendwo

Im Lande, dessen Macht und Thron mir ward vertraut,

Euch aufzunehmen oder anzureden je[403]

Noch je des Götterdienstes noch des Opfermahls

Ihm teilzugeben noch der heilgen Reinigung;

Und stoß ihn jeder aus dem Haus als diesen Greul,

Der jetzt uns heimsucht, wie des Gottes pythisches

Orakel unzweideutig heut uns zeigte nur.

So aber werd ich selber diesem Gotte wie

Dem toten Manne treuer Bundesstreiter sein.

Zugleich verfluch ich jenen Täter, sei er nun

Verborgen einsam oder mit Genossen auch;

Durchs Leben plage schnöde Not den Schnöden hin.

Auch fleh ich, hegt ich selber ihn unwissentlich

An meinem Herd, in meiner Hausgenossenschaft,

Doch leid er alles, was ich nun ihm angeflucht.

Euch aber leg ich alles dieses auf zu tun,

Für mich, o Bürger, für den Gott und dieses Land,

Das so mit Mißwachs Götterzorn daniederquält.

Denn nie, betrieb auch dieses Werk nicht Gottesruf,

Ziemt' ungesühnet solche Tat zu lassen euch,

Nachdem der trefflichste Mann und Fürst daniederfiel,

Nein, nachzuforschen; aber jetzt leg ich es auf,

Des nun die Herrschaft, welche jener erst besaß,

Des jenes Bett ist und derselben Frau Genuß;

Auch wär der Kinder gemengte Saat, woferne sie

Nicht jenem mißglückt', ebenfalls emporgeblüht;

So aber stürmte seinem Haupt ein böses Los.

Weshalb ich ihm, als wär er eigner Vater mir,

Mit Kampfe beistehn, unversucht nichts lassen will,

Den auszuspüren, welcher solchen Mord beging

Am labdakidischen Sprossen, an Polydoros' und

Des alten Kadmos und des fernen Agenor Sohn.

Und welcher nicht mir folget, diesem sende nie,

So fleh ich an die Götter, Saat die Erd herauf

Noch seine Gattin Kinder, sondern diese Not

Vertilg ihn schmählich oder noch ergrimmtere.

Euch andern Kadmosbürgern aber, welche mir

In diesem beistimmt, bleibe Dikes hehrer Schutz

Und immer huldreich jeder Gott hinzugesellt.[404]

CHOR(FÜHRER).

Wie dieser Fluch mich bindet, Fürst, so red ich dir.

Ich bin der Mörder weder, noch vermag ich ihn

Zu weisen; aber der die Müh uns aufgelegt,

Apollon, sollt uns sagen, wer die Tat beging.

ÖDIPUS.

Du redest Wahrheit; aber Zwang antun dem Gott,

Der nicht von selbst will, das vermag kein Sterblicher.

CHOR.

Ein andres möcht ich sagen, das mir gut bedünkt.

ÖDIPUS.

Und wär's ein drittes, nicht versäum, es kundzutun.

CHOR.

Dem Fürsten Phoibos kommt der Fürst Teiresias

Zumeist an Einsicht, mein ich, gleich; bei welchem wir

Nachforschend, König, dies gewiß ergründeten.

ÖDIPUS.

Und, nicht ein Träger, hab ich dies auch nicht versäumt.

Zwei Boten sandt auf Kreons ratend Wort bereits

Ich hin, und lange wundert schon sein Weilen mich.

CHOR.

Und andre Sagen sind bedeutungsleer und alt.

ÖDIPUS.

Doch welche sind sie? Merken muß ich jedes Wort.

CHOR.

Ermordet, hieß es, sei der Mann von Wanderern.

ÖDIPUS.

Ich hört es. Aber wer es sah, wird nicht erblickt.

CHOR.

Doch wenn der Furcht er irgend nur teilhaftig ist,

So trotzt er niemals deinem Fluch, vernimmt er ihn.

ÖDIPUS.

Wen nicht die Tat geschrecket, zwingt auch Rede nicht.

CHOR.

Jedoch es naht ihm dort der Prüfer. Denn es kommt

Der gottbeseelte Seher hergeleitet, dem

Allein der Menschen eingepflanzt das Wahre ward.


Teiresias tritt auf, von einem Knaben geführt.


ÖDIPUS.

Oh, der, Teiresias, alles schaut, Verkündliches,

Sprachloses, Himmelhohes, Erdgegründetes,

Wiewohl die Stadt du nicht erblickst, erkennst du doch,

In welchem Weh sie kranket, der wir dich allein

Zum Schutze, Fürst, und Retter auserkundeten.

Denn Phoibos, wenn dir unsre Diener nichts gesagt,

Gab Gegenbotschaft unsern Boten: dann allein

Werd einst Erlösung aus der Seuch uns hergesandt,

Wenn erst wir Laios' Mörder wohl erforschten und

Erschlügen oder aus dem Land verjageten.

Drum du, versagend weder heilger Vögel Spruch,[405]

Noch wenn du andren Seherpfad betreten hast,

Lös aus die Stadt und dich zugleich, erlöse mich,

Lös auf des Mordes ganze Blutbesudelung.

In dir ja sind wir; und mit aller Hab und Macht

Zu helfen, jedem ist die schönste Mühe das.

TEIRESIAS.

Weh, weh! Entsetzlich ist das Wissen, wo es nicht

Dem Wisser Heil bringt. Wohl erkannt ich das, jedoch

Mir war es nun entschwunden. Nie erschien ich sonst.

ÖDIPUS.

Was ist es? Wie so mutberaubt erscheinest du?

TEIRESIAS.

Heimkehren laß mich! Denn am leichtsten trägest du

Das Dein und ich das Meine, wenn du folgen willst.

ÖDIPUS.

Nicht rechtlich sprachst du, weder günstig dieser Stadt,

Der eignen Pflegrin, wenn du ihr dein Wort entziehst.

TEIRESIAS.

Dir selbst ja, seh ich, gehet schon dein Reden nicht

Zum Glücke. Mir auch fürcht ich gleiches Ungemach.

CHOR(FÜHRER).

Nicht, bei den Göttern, hehle, was du weißt, dieweil

Zu deinen Füßen alle wir um Hilfe flehn!

TEIRESIAS.

Denn alle schaut ihr nichts. Jedoch ich spreche dies

Nie aus und hülle nimmermehr dein Übel auf.

ÖDIPUS.

Wie? Deine Kenntnis sagst du nicht? und wolltest mich

In diese Not ausstoßen und die Stadt zugleich?

TEIRESIAS.

Nur mich zu kränken meid ich wie dich selbst. Wozu

Dies leere Forschen? Nichts erfährst du doch von mir.

ÖDIPUS.

Nicht, aller Schlechten Schlechtster! – denn auch Steinesart

Mag dies in Zorn aufregen – nicht entdeckest du's?

Willst unerweichbar bleiben, unerschütterlich?

TEIRESIAS.

Häuf meiner Art nur Tadel. Deine, welche dir

Beiwohnt, verkennst du, aber mich verleumdest du.

ÖDIPUS.

Wer sollte nicht erzürnen, wenn er solches Wort

Vernimmt, womit du schnöde jetzt die Stadt entehrst?

TEIRESIAS.

Selbst wird es kommen, deckt es auch mein Schweigen zu.

ÖDIPUS.

So mußt du sagen, was es ist, das kommen wird.

TEIRESIAS.

Nichts weiter kann ich sagen. Nun, wofern du willst,

Entbrenn in Jähzorn, sei er auch der wildeste.

ÖDIPUS.

Auch will ich nichts verhalten, wie mich Zorn erregt,

Soviel ich sehn kann. Wisse drum, mir scheinest du

Des Werkes Mitaussäer, Täter selbst, sofern[406]

Nicht deine Faust half. Aber wärst du sehend nur,

So wär die Tat auch, spräch ich, ganz die deinige.

TEIRESIAS.

Wahrhaftig? Also den du erst verkündiget,

Bei jenem Ausruf bleibe nun; nicht rede seit

Dem heutgen Tag mehr jene, nicht mich selber an

Als dieser Stadt entheiligende Besudelung.

ÖDIPUS.

So dreist und schamlos wälzest solch Geschwätze du

Heraus? Gerettet glaubst du einst hieraus zu sein?

TEIRESIAS.

Ich bin's. Der Wahrheit hohe Kraft ja pflegt ich mir.

ÖDIPUS.

Von wem belehrt denn? Nimmer doch von deiner Kunst!

TEIRESIAS.

Von dir. Mit Unlust sagt ich dies, von dir gedrängt.

ÖDIPUS.

Was aber? Nochmals sag es, lehr es deutlicher!

TEIRESIAS.

Begriffst du nicht mein Reden, oder prüfst du mich?

ÖDIPUS.

Nicht daß ich klar es wüßte. Wieder sag es drum.

TEIRESIAS.

Du seist der Königsmörder, den du suchen willst.

ÖDIPUS.

Dir nicht zur Freude sagst du Doppellästerung.

TEIRESIAS.

Und soll ich mehr noch sagen, dir zu neuem Zorn?

ÖDIPUS.

Soviel dir einkommt; denn vergeblich redest du's.

TEIRESIAS.

Verborgen, sag ich, lebst du mit den Teuersten

In schnödem Umgang und erkennst den Greuel nicht.

ÖDIPUS.

Und glaubst du freudig immerdar dies kundzutun?

TEIRESIAS.

Wenn je der Wahrheit irgend Kraft beiwohnt, gewiß.

ÖDIPUS.

Ja; nur in dir nicht, dir allein nur nicht, dieweil

Du blind an Ohren und an Geist und Augen bist.

TEIRESIAS.

Wie jammerwürdig schmähst du nun an mir, womit

Dich selber niemand bald zu schmähn vergessen wird!

ÖDIPUS.

Dich heget eine finstre Nacht, daß weder mir

Noch andern, welche schaun das Licht, du schaden magst.

TEIRESIAS.

Auch ist von mir zu fallen nicht dein Los, dieweil

Es vermag Apollon, der die Sühne selbst betreibt.

ÖDIPUS.

Hat Kreon, hast du selber solches ausgedacht?

TEIRESIAS.

Nicht Kreon droht dir Leides, nur du selbst allein.

ÖDIPUS.

O Königtum, und Güter, und der Künste Kunst,

Die hoch zum allersehnten Ziel mich aufgeführt,

Wie schnöde Mißgunst berget ihr verräterisch,

Wenn dieser Herrschaft halben, die mir selbst die Stadt

Als Gabe, nicht gefordert, eingehändiget,[407]

Mir Kreon nun, mein treuer, mein uralter Freund,

Heimtückisch nachstellt, mich hinauszuwerfen strebt

Durch dieses Zaubrers, dieses ränkespinnenden,

Trügerischen Gauklers Dienste, der Gewinn allein

Zu sehn geschickt ist, aber blind in seiner Kunst!

Denn rede doch; wo warest du als Seher echt?

Was, als die Hündin dunklen Sang den Bürgern spann,

Was sprachst du damals ihnen kein Erlöserwort?

Doch war das Rätsel nimmer leicht für jeglichen

Mann aufzudecken, sondern heischte Seherkunst,

Die nicht vom Vogelflug gewonnen, nicht gelernt

Von Göttern du bewiesest; sondern ich erschien,

Kundlos und Fremdling, Ödipus, und schweigte sie,

Im Geist es treffend, nicht belehrt durch Vogelflug,

Den du versuchest auszuwerfen, weil sodann

Du Kreons Herrschersitzen nah zu stehn gedenkst.

Voll Reue, denk ich, sühnest so die Bürger du,

Und der dich anstellt; aber säh dein Alter nicht

Ich an, es lehrten Tränen dein Vermessen dich.

CHOR.

Uns, wenn wir dies erwägen, scheint des Greises Wort,

Nicht minder deins auch, Ödipus, im Zorn gesagt.

Nicht des bedarf es, sondern wie am besten wir

Den Götterspruch ausüben, dies zu suchen nur.

TEIRESIAS.

Wiewohl du herrschest, bleibet doch mir gleiches Recht

Zu gleicher Antwort; dessen hab auch ich Gewalt.

Nicht leb ich dir ein Diener, nein, dem Loxias,

Daß nicht als Vorstand Kreon mich vertreten darf.

Vernimm, dieweil du höhntest auch als Blinden mich:

Auch sehend schaust du deines Jammers Größe nicht,

Noch wo du wohnest noch mit wem dein Leben führst.

Denn weißt du, wer dich zeugte? Nein, unwissend bist

Du Feind den Deinen, unten und hier oben auch.

Und rings verfolgend jaget bald mit schnellem Fuß

Dich aus des Vaters wie der Mutter grimmer Fluch,

Und wie du hell siehst heute, schaust du Nacht sodann.

Ja, welche Bucht ist, welche nicht dein Schrein empfängt,

Wo wird Kithairon nicht erfüllt vom Widerhall,[408]

Sobald du wahrnimmst diesen Bund, wozu du rasch

Einliefst in heimischen Leidensport mit froher Fahrt?

Auch andrer Schrecken volle Schar erkennst du nicht,

Die gleiches Unheil deinen Kindern dräun und dir.

Drum sei geschäftig, Kreons Mund und meinen noch

Herabzureißen. Denn es wird entsetzlicher

Als du der Menschen keiner hingepeiniget.

ÖDIPUS.

Wie? Trüg ich je von solchem Mann ein solches Wort?

O Tod und Unheil! Fliehst du nicht? Enteilest nicht,

Von meiner Wohnung ungesäumt zurückgewandt?

TEIRESIAS.

Auch wär ich niemals ohne deinen Ruf genaht.

ÖDIPUS.

Nicht schnöden Unsinn meint ich anzuhören: denn

Sonst hätt ich schwerlich dich zu mir herbeigeholt.

TEIRESIAS.

So bin ich nichts denn andres als nach deinem Sinn

Ein Tor, jedoch voll Witzes deinen Erzeugern wohl.

ÖDIPUS.

Und welchen? Bleibe! Wer der Menschen zeugte mich?

TEIRESIAS.

Der heutge Tag nur zeuget und vernichtet dich.

ÖDIPUS.

Wie unerklärbar rätselhaft du alles sagst!

TEIRESIAS.

Und du verstehst nicht, dies am besten einzusehn?

ÖDIPUS.

Verhöhne das nur immer, was mich groß gemacht.

TEIRESIAS.

Ja, eben dieses hohe Glück verderbte dich.

ÖDIPUS.

Doch gab ich Rettung dieser Stadt, so sei es so.

TEIRESIAS.

So laß mich abgehn. Knabe, komm, geleite mich.

ÖDIPUS.

Er mag dich leiten. Hier verwirrst du diese Not

Nur noch; enteilend bist du nicht uns lästig mehr.

TEIRESIAS.

Weshalb ich kam, das sag ich, gehend, ohne Scheu

Vor deinem Antlitz. Meinen Tod vermagst du nicht.

Derselbe Mann denn, sag ich nun, nach welchem du

Mit strenger Drohung, und den Mord des Laios

Ausrufend, spürest, dieser ist an diesem Ort,

Für eingewandert geltend; doch erscheint er bald

Als ingeborner Theber; aber nicht erfreut

Ihn solche Schickung; denn er geht statt sehend blind,

Statt reich ein Bettler, mit dem Stab ins fremde Land

Die Wege tastend, auf die Elendswanderung,

Erscheint den eignen Kindern auch zu gleicher Zeit

Als Vater selbst und Bruder, seiner Gebärerin[409]

Als Sohn zugleich und Ehgemahl, des Vaters auch

Ehbettgenoß und Mörder. Eile nun hinein,

Dem nachzusinnen; und ertappst du lügend mich,

So sage, gänzlich weiche mir die Seherkunst.


Teiresias ab, Ödipus in den Palast.


Erste Strophe


CHOR.

Wen sagst du an, göttlich beseelter

Felsen Delphis, welcher

Abscheu abscheuvollster Befleckung

Tat mit blutgen Händen?

Mag schneller denn stürmischer Roßwettlauf

In die Flucht den Fuß er kräftig entlenken!

Es verfolgt ja gepanzert im Zornangriff

Der Erzeugete Zeus' ihn mit Flammen und Blitz,

Und fürchterlich folgen

Nimmer vermiedne Keren.


Erste Gegenstrophe


Denn unverhofft strahlt' der beschneite

Gipfelfels Parnassos'

Aufruf hell uns her, dem Verborgnen

Alle nachzuspüren;

Und sicherlich irret im Bergwald um,

In Geklüft und Steinhöhlen, dem Stier gleich,

Des Verstoßnen verstoßener Fuß voll Angst,

Dem Geheiß, das der Nabel der Erd austönt,

Fortschlüpfend, so dennoch

Lebend die Welt herumfleugt.


Zweite Strophe


Schrecklich indes, schrecklich empört mich

Der zuvorschauende Greis, we-

Der gewiß, weder verachtbar.

Es verstummt bebend der Mund.

In der Angst Grauen erblickt nichts

Mir der Blick hier und zuvor.

Dem Geschlecht Labdakos', war je[410]

Diesem der Sohn Polybos' feind?

Solches vernahm weder ich nun

Weder zuvor irgend, woran

Ich anitzt, gleich an dem Prüfsteine, belehrt,

Der erschollnen Verkündung

Zu Gebot, Ödipus rasch

Labdakos' Söhnen bestrafte

Für tiefdunkelen Mord.


Zweite Gegenstrophe


Zwar es beschaun Zeus und Apollon

Das Geschick Sterblicher wahrhaft

Im Gemüt; aber ein Mensch, ob

Er erringt Höhres denn ich

Zu erschaun, keiner beweist das.

Es besiegt Künste mit Kunst

Der Verstand Sterblicher wohl; nie

Wollt ich indes, eh ich das Wort

Treffend erkannt, zeihen den Mann,

Welcher ihm abstimmt. Es ersah

Ja die Stadt hier ihm beschwingt nahen das Weib

Und erkannte die Weisheit,

Der Gefahr tröstliche Wehr.

Drum ihn in meinen Gedanken

Die Schuld nimmer berührt.


Kreon tritt auf.


KREON.

Ihr Männer, Bürger, hörend, daß mir Ödipus,

Der König, aussprach bittrer Wort Anschuldigung,

Erschein ich ungeduldig. Denn wofern er itzt

In dieser Not argwöhnet, daß Verderbliches

Mit Worten oder Taten ich ihm zugefügt,

Nicht langes Leben wünsch ich sehnsuchtsvoll sodann,

Dergleichen Ruf zu tragen. Denn nicht einerlei

Nachteilge Kränkung bringet mir ein solches Wort,

Nein, allzu große, bin ich schlecht in unsrer Stadt,

Schlecht dir und allen Freunden nun berüchtiget.[411]

CHOR(FÜHRER).

Doch ward gewißlich dieser Schimpf durch Zornes Drang

Vielmehr herausgestoßen als mit Vorbedacht.

KREON.

Woher erschien denn, daß der Seher, angeführt

Von meinem Anschlag, lügenhaften Spruch gesagt?

CHOR.

So klang es freilich. Doch den Grund erkannt ich nicht.

KREON.

Und freien Blickes und mit freiem Sinne ward

Herausgesprochen diese Klage wider mich?

CHOR.

Ich weiß es nicht. Der Herrscher Tun beschau ich nicht.

Doch selber kommt er aus dem Haus hervorgeeilt.


Ödipus tritt auf.


ÖDIPUS.

Du? Wie erscheinst du wieder? Hast du solche Stirn

Schamloser Frechheit, daß zu meiner Schwelle du

Noch kommst, ertappt als dieses Mannes Mörder nun

Und meiner Herrschaft Räuber ganz unzweifelhaft?

Sprich, bei den Göttern, ob du feige Furcht an mir

Sahst oder Wahnsinn, daß du solche Tat erdacht?

Daß ich es nicht entdeckte, wie verborgen mir

Dein Trug daherschlich, noch es merkend züchtigte?

Ist solch Vermessen nicht ein torheitblindes Werk,

Ohn allen Anhang, ohne Volk das Königtum

Zu jagen, welches Volk und Gold allein erzielt?

KREON.

Was nun zu tun ist, höre! Jetzt nach deinem Wort

Vernimm das meine; dann, belehrt, entscheide selbst.

ÖDIPUS.

In Reden bist du mächtig; doch ich lerne schwer

Von dir, dieweil ich feindlich dich und bös befand.

KREON.

Dies eben laß mich sagen, wie sich dies verhält.

ÖDIPUS.

Dies eben sprich nie, daß du recht gesinnet seist.

KREON.

Wofern du meinest, trefflich sei der Eigensinn,

Von aller Weisheit ledig, denkst du sehr verkehrt.

ÖDIPUS.

Wofern du meinest, bitter mir Verschwägertem

Ganz ungestraft zu schaden, denkst du nimmer klug.

KREON.

Mit Recht, gesteh ich, sagst du dies fürwahr; jedoch

Welch Leid von mir du leidest, des belehre mich.

ÖDIPUS.

War dein der Anschlag oder nicht der deine, daß

Zum hochgepriesnen Seher auch zu senden sei?

KREON.

Und noch behaupt ich diesen Rat unwandelbar.[412]

ÖDIPUS.

Wie lange Zeit denn ist es nun, daß Laios –

KREON.

Welch Werk verübte? Was du meinst, errat ich nicht.

ÖDIPUS.

Verborgen hinsank unter feindlicher Mordgewalt?

KREON.

Wohl lang und fernher messen wir seitdem die Zeit.

ÖDIPUS.

Und war der Seher seiner Kunst teilhaftig schon?

KREON.

Von gleicher Weisheit, gleicher Würde wert geschätzt.

ÖDIPUS.

Gedacht er meiner aber auch zu jener Zeit?

KREON.

Wohl nicht. Gewißlich nimmer da, wo ich's vernahm.

ÖDIPUS.

Und habt ihr Forschung jener Tat nicht angestellt?

KREON.

Wohl angestellt. Wie anders? Doch wir hörten nichts.

ÖDIPUS.

Wie? Sprach denn damals dieses nicht der Weise schon?

KREON.

Ich weiß es nicht. Gern schweig ich, wo mir Kunde fehlt.

ÖDIPUS.

Das Deine weißt du. Sag es, bist du klug gesinnt.

KREON.

Und welches? Wenn ich's wüßte, nie verhehlt ich es.

ÖDIPUS.

Daß jener, wenn er dich zuvor nicht sah, gewiß

Mir nimmer zusprach jenen Sturz des Laios!

KREON.

Ob dies er aussagt', weißt du selbst; ich aber darf

Nun auch von dir wohl forschen wie du selbst von mir.

ÖDIPUS.

So forsche. Niemals deckst du mich als Mörder auf.

KREON.

Wohl. Hast du meine Schwester nicht zum Ehgemahl?

ÖDIPUS.

Nicht wär zu leugnen, was du jetzt erkundigtest.

KREON.

Nicht gleiche Macht mit jener, gleichen Landbesitz?

ÖDIPUS.

Soviel sie wünschet, alles stets gewähr ich ihr.

KREON.

Bin euch zu gleichen Ehren ich der Dritte nicht?

ÖDIPUS.

Ja, hier erscheinst du eben recht als falscher Freund.

KREON.

Nicht, gäbst du, mir nur ähnlich, selbst dir Rechenschaft.

Betrachte dies zuvörderst: wähnst du, daß ein Mann

In Angst beständig lieber wünscht zu herrschen als

Sorglose Nachtruh bei der gleichen Macht Besitz?

Drum weder mir ist mehr Begehren eingepflanzt,

Zu sein ein König, als dem König gleichzutun,

Noch welchem irgend echtes Wohl genügen mag.

Denn jetzt erhalt ich alles ohne Furcht von dir.

Doch herrscht ich selber, müßt ich viel Gezwungnes tun.

Wie wäre süßer solche Königswürde denn

Als dieses Ansehns ungetrübtes Herrschertum?

Nicht solcher Irrtum hat mich täuschungsvoll bestrickt,[413]

Mir mehr zu wünschen als das Schön und Nützliche.

Jetzt grüßt mich jeder, jetzt umarmt mich jedermann,

Jetzt, wer von dir begehret, ruft nach mir zuerst,

Weil sein Gelingen allezeit bei mir beruht.

Wie griff ich nun nach jenem wohl und ließe dies?

Verständge Denkart würde so verworfen nie.

Auch mich ergriff nie solcher Sinnesart Gelüst,

Noch selbst mit Beistand andrer wagt ich solche Tat.

Und, dies zu prüfen, erst in Pytho forsche selbst,

Ob jenen Ausspruch ungefälscht ich hergebracht.

Zum andern: triffst du, daß ich pflog geheimen Rat

Mit jenem Zeichendeuter – nicht durch einen Spruch

Verdammt, von zweien sterb ich dann, von mir und dir.

Nach dunkler Meinung zeih indes nicht ferner mich;

Denn immer bleibt unbillig, blind den bösen Mann

Für rechtlich halten oder bös den rechtlichen.

Denn wer den edlen Freund verjagt, stößt, mein ich, aus

Sein eignes Leben, das er mehr als alles liebt.

Doch nach der Zeit erkennst du sicher dies, dieweil

Die Zeit den wackern Mann allein erweisen kann;

Den Schlechten aber kennst du leicht durch einen Tag.

CHOR.

Recht sprach er jedem, welcher sich zu fallen wahrt,

O König; fehllos denkt ja nicht des Schnellen Sinn.

ÖDIPUS.

Eilt aber schnell mir sein geheimnisvoller Rat

Heran, so fordert schnellen Gegenrat es auch.

Doch harr ich sorglos lange Zeit, vollendet ist

Dann sein Beginnen, meins vergeblich angestrengt.

KREON.

Was aber willst du? Soll ich aus dem Lande fliehn?

ÖDIPUS.

Mitnichten. Tod ist, nicht Verbannung mein Begehr.

KREON.

Wenn erst du zeigest, welchen Groll du hegen darfst.

ÖDIPUS.

Nicht mir zu folgen noch zu weichen, schwatzest du?

KREON.

Ich seh ja, weise denkst du nicht.

ÖDIPUS.

Doch mir genug.

KREON.

Auch mußt du mir nicht minder.

ÖDIPUS.

Du verrietest mich.

KREON.

Und wenn du gänzlich irrest?

ÖDIPUS.

Ich gebiete doch.[414]

KREON.

Nicht, wenn du schlecht gebietest!

ÖDIPUS.

Stadt, o Stadt, vernimm!

KREON.

Auch mir ist Anteil dieser Stadt, nicht dir allein.

CHOR.

Nun schweiget, Herrscher; denn ich seh willkommen uns

Iokasten dort vom Hause schnell hernahn, mit der

Den neuen Streit ihr ungesäumt vermitteln müßt.


Iokaste tritt auf.


IOKASTE.

Was hobet, sinnverworren, ihr, Unglückliche,

Der Zungen Aufruhr und erregt schamlos, indem

So krankt die Landschaft, eignen Grolls Erbitterung?

Gehst du hinein nicht? Kreon, du nicht eilig heim?

Und hebt zu großem Leide nicht das Nichtige!

KREON.

Blutschwester, bittre Tat an mir sinnt Ödipus,

Dein Ehegatte, welcher zwei Verderben mir

Nun hat, Verbannung oder Tod, zur Wahl gestellt.

ÖDIPUS.

So tat ich, weil ich eben ihn, o Frau, ertappt,

Nachstellend böslich meinem Leib mit böser Kunst.

KREON.

Nie mehr gedeih ich; nein, verflucht, wofern ich tat,

Wes dieser mich verklagte, mög ich untergehn!

IOKASTE.

O bei den Göttern, Ödipus, gib Glauben ihm,

Zumeist verehrend seines Eides Göttlichkeit,

Dann aber mich auch nebst den hier Versammelten!


Erste Strophe


CHOR.

Befolge gern, selbst bedenkend,

Den Rat, edler Fürst!

ÖDIPUS.

Worin zu folgen heischest du?

CHOR.

Nicht, welchen stets keiner höhnt',

Aber nun Schwur erhebt,

Entwürdige!

ÖDIPUS.

Bedenkst du alles?

CHOR.

Alles.

ÖDIPUS.

Sprich, was forderst du?

CHOR.

Weichend dem Eide, wirf nimmer mit trübem Grund

In die Beschuldigung verunehrt den Freund!

ÖDIPUS.

So wisse wahrlich: wenn du dies begehrest, dann

Begehrst du Tod mir oder Flucht in fernes Land.


[415] Zweite Strophe


CHOR.

Nein, beim Anführer Helios

Der Unsterblichen!

Ohn Götter und Freund' in dem Äußersten mög ich

Dahinstürzen, wenn ich je solches sann!

Doch den schmerzvollen Mut

Quälet hart dahinschwindend

Mein Land, und mehr, wofern

Zum alten Unheil neues ihr dazufügt.

ÖDIPUS.

So geh er, sei auch völlig nun mein Tod bestimmt,

Und werd ich ehrlos aus dem Land hinausgestürzt.

Dein Mund bezwang, nicht seiner, mitleidregend mich

Zur Milde; dieser, wo er sei, bleibt stets verhaßt.

KREON.

Ich seh, erbittert gibst du nach, doch drückt es dich,

Sobald der Zorn weicht; solche Sinnesarten tun

Die schwerste Büßung, ganz gerecht, sich selber an.

ÖDIPUS.

Nun laß mich endlich! Gehst du nicht?

KREON.

Unweigerlich,

Unbillig dir gerichtet, doch vor diesen rein.


Ab.


Erste Gegenstrophe


CHOR.

Was führst du, Frau, ungesäumt nicht

Den Mann dort hinein?

IOKASTE.

Erkunden will ich, was geschah.

CHOR.

Aus raschem Wort kam Verdacht,

Dunkel nur, aber nagt,

Auch ungerecht.

IOKASTE.

Von beiden Männern?

CHOR.

Freilich!

IOKASTE.

Sprich; wie kam der Zwist?

CHOR.

Wahrlich genug, genug, bei der gemeinen Not,

Bleibet er ruhig, wo er selbst endet, stehn!

ÖDIPUS.

Was aber denkst du, zwar ein gutgesinnter Mann,

Wenn so verächtlich mein Gemüt du dämpfen willst?


[416] Zweite Gegenstrophe


CHOR.

Nicht einmal, Fürst, allein beschwur

Ich es; wisse, daß

Ich sinnesberaubt, in verständger Beratung

Des Ratschlags entblößet bin, laß ich dich,

Welcher mein teures Land,

Als es Jammer schwer umtrieb,

In günstgen Wind gelenkt!

Auch jetzo werd uns, wenn du kannst, ein Führer!


IOKASTE.

Nun, bei den Göttern, wolle mich auch lehren, Fürst,

Um welche Tat du so gewaltgen Zorn erregst.

ÖDIPUS.

Vernimm es, Frau, ich ehre mehr als diese dich:

Um Kreons Anschlag, den er mir mit Truge sann.

IOKASTE.

Sprich, ob du wahrhaft diesen Zwist verfechten kannst.

ÖDIPUS.

Ich sei des Laios Mörder, hat er ausgesagt.

IOKASTE.

Aus eigner Kenntnis oder nur auf fremdes Wort?

ÖDIPUS.

Uns sendend her den tückevollen Seher, der

Frech seinen Mund ausschüttet ohne Ziel und Scheu.

IOKASTE.

Aus deinem Sinne schlagend, was du sagen willst,

Hör jetzo mich und lerne, daß nie Sterbliches

Der Seherweisheit irgendwo teilhaftig ward.

Und nahes Zeugnis geb ich dir nur kurz davon.

Laios bekam einst solchen Spruch, nicht, mein ich, zwar

Von Phoibos selber, aber von der Dienerschaft,

Daß einst das Los ihn fasse, durch des Sohnes Hand

Zu sterben, welchen er und ich erzeugeten.

Und jenen, wie die Rede kam, erschlug zuletzt

Auf dreigespaltnem Landesweg die Räuberschar;

Der junge Sprößling aber sah der Tage nicht

Drei, als, die Glieder seiner Füß einfesselnd, er

Durch Sklavenhand ihn tief in ödes Gebirge warf;

Und nicht erfüllt' ihm jenes Ziel Apollon da,

Des Vaters Mord zu üben noch dem Laios

Den Greul, womit ihn dieser Sohn geängstiget.

Dergleichen hat nun Seherruf vorherbestimmt,

Der nimmer drum dich kümmre. Welches Ding der Gott[417]

Nur will herausspähn, selbst enthüllt er solches leicht.

ÖDIPUS.

Wie, Frau, erfaßt so plötzlich bei der Rede mir

Den Geist Verirrung, welcher Angstaufruhr den Mut?

IOKASTE.

Von welchen Schreckenssorgen sprichst du aufgeregt?

ÖDIPUS.

Mich dünkt, du sagtest, daß der König Laios

Auf dreigespaltnem Landesweg daniederfiel.

IOKASTE.

So klang die Nachricht und verscholl noch immer nicht.

ÖDIPUS.

Wo aber liegt die Gegend, wo dies Leid geschah?

IOKASTE.

Es heißet Phokis jenes Land. Der Scheideweg

Kommt her von Delphi dort zugleich und Daulia.

ÖDIPUS.

Und welcher Zeitlauf rann daher seit jener Tat?

IOKASTE.

Nur kurz bevor du selber dich hervorgetan

Zu unsrer Herrschaft, ward der Stadt es angesagt.

ÖDIPUS.

Zeus, welchen Ratschluß hast du nun auf mich gefaßt?

IOKASTE.

Wie geht dir solches, Ödipus, dem Mute nah?

ÖDIPUS.

Nicht frage dieses. Aber sprich, wie Laios

Gestaltet damals war zu sehn, wie hoch bejahrt.

IOKASTE.

Groß war er, weißlich eben ihm umblüht das Haupt;

Von deinem Ansehn war er nicht gar weit entfernt.

ÖDIPUS.

O Schrecken, weh! So hab ich heut in schweren Fluch,

Vielleicht im Irrtum, selber mich hinabgestürzt?!

IOKASTE.

Wie dieses? Zagend schau ich, Fürst, dein Angesicht.

ÖDIPUS.

Ich wanke schrecklich, ob der Greis nicht sehend sei.

Und klar erscheint es, wenn du eins noch sagen wirst.

IOKASTE.

Zwar Graun erfaßt mich, doch verkünd ich, was du fragst.

ÖDIPUS.

Entzog er schwach umgeben, oder folget' ihm

Zahlreiche Kriegsschar, wie dem Heergebieter ziemt?

IOKASTE.

Sie waren fünf zusammen, und darunter ein

Herold; den König aber trug ein Wagen nur.

ÖDIPUS.

Weh, weh! Es zeiget sich alles klar! Wer aber war's,

Der solche Botschaft, Frau, davon hierhergebracht?

IOKASTE.

Ein Diener, welcher ganz allein entronnen kam.

ÖDIPUS.

Und wär in unserm Hause jetzt derselbe noch?

IOKASTE.

Nicht mehr. Sobald er, rückgekehrt, die Herrschermacht

In deiner Hand sah und vernichtet Laios,

So fleht' er, eifrig mir die Hand ergreifend, ihn

Aufs Land zu senden nach der Herden Weiden hin,[418]

So weit wie möglich aus der Stadt Gesicht entfernt.

Und ich entsandt ihn. Denn er war ein Diener, der

Wohl solcher Wohltat, ja der beßren würdig war.

ÖDIPUS.

Wie käme dieser eilig wohl uns nun zurück?

IOKASTE.

Wohl mag er; aber wessenhalb begehrst du ihn?

ÖDIPUS.

O Frau, ich fürchte, viel zuviel sei jetzo mir

Gesagt, warum ich jenen Mann will selber sehn.

IOKASTE.

So mag er kommen. Doch geziemt auch mir, o Fürst,

Dies mitzuwissen, welches dich so schwer bedrückt.

ÖDIPUS.

Nicht mangle dessen, weil ich ahnungsvoll genaht

So großem Ausschlag. Wem vertraut ich besser auch

Als dir, wohin mich mein Geschick getrieben hat?

Mir war Erzeuger Polybos, der Korintherfürst,

Merope, die Dorerin, Mutter; und gehalten ward

Ich stets der höchste Bürger dort, bevor mich traf

Ein solcher Unfall, der verwundrungswürdig wohl,

Doch meines Eifers sicher so nicht würdig war.

Ein Mann, am Festmahl überfüllt von Trunkenheit,

Rief aus, dem Vater sei ich nicht ein echter Sohn.

Ich aber, schwer betroffen, mochte jenen Tag

Es kaum ertragen; doch am nächsten fordert ich

Auskunft von beiden Eltern; aber aufgebracht

Erzürnten die dem Schmäher, dem die Red entfiel.

Und solches war mir zwar erfreuenswert, jedoch

Nagt' immer dieses; denn es drang zu mächtig ein.

Drum, beiden Eltern unbemerkt, entwandert ich

Nach Pytho. Dort entsandte meiner Frage zwar

Mich ungewürdigt Phoibos, aber andres Leid,

Graunvolles, unglückselges, hat er aufgedeckt:

Beiwohnen sollt ich meiner Mutter, zeigen so

Den Menschen abscheuwerter Art Nachkommenschaft,

Und meines eignen Vaters Leib ermorden einst.

Und dies vernommen, floh ich fort unzögerlich,

Nur nach Gestirnen künftig mein Korintherland

Ausspähend, niemals solchen unglückselgen Schimpf

Erfüllt zu schauen dieser Vorverkündigung.

Und so entwandernd, kam ich einst an jenen Ort,[419]

Wo jenes Fürsten Todessturz du angesagt.

Und reine Wahrheit sag ich dir, o Frau: indem

Ich jenem Kreuzweg reisend zugekommen war,

Erschien ein Herold und ein Mann, wie eben du

Erzählst, in solchem Roßgeschirr, gerade mir

Entgegenkommend; und der Rosselenker trieb,

Zusamt dem Alten, ungestüm vom Wege mich.

Drauf jenen Wagenführer, der mich drängte, schlug

Ich rasch im Jähzorn. Doch der Greis, sobald er mich

Zum Wagen sieht anschreiten, zielt scharf her und trifft

Mit dopplem Stachelstabe gleich den Scheitel mir.

Und nicht mit gleichem büßt' er; sondern ungesäumt

Vom Stab gerührt aus diesen Händen, ward er schnell

Aus seinem Fuhrsitz hinter sich hinabgewälzt;

Und dann erschlag ich alle. Wenn mit Laios

Nun je Gemeinschaft diesem Unbekannten war,

Wer aller Menschen wäre fluchbeladener,

Mehr gottverabscheut wer sodann als dieser hier,

Den nicht ein Gastfreund ferner, nicht ein Bürger mehr

In seine Wohnung nehmen, nicht anreden darf,

Nein, alle von sich stoßen? Und kein anderer,

Nur ich belegte selber mich mit solchem Fluch.

Des Toten Ehbett aber wird in meinem Arm,

Der jenen schlug, besudelt. Bin ich schnöde nicht?

Nicht ganz und gar unheilig, wenn ich flüchten muß

Und flüchtig, unstet nimmer darf den Meinen nahn

Noch wiederschaun mein Vaterland; sonst drohet mir

Der Mutter Ehbund, sonst ermord ich Polybos,

Den Verehrten, der mich zeuget' und mich auferzog?

Wer wildem Schicksalsgrimme nun das alles mir

Zuschriebe, dächte dieser nicht untadelhaft?

Niemalen, niemals, aller Götter heilge Macht!

Erblick ich solchen Schreckenstag. Eh mög ich aus

Der Menschen Anblick schwinden, eh ich schauen muß,

Daß wahr heraneilt solchen Wehs Besudelung!

CHOR.

Wir zwar, o Herrscher, zagen sehr; bevor jedoch

Du hier den Hirten ausgeforscht, verzweifle nicht.[420]

ÖDIPUS.

An dieser Hoffnung halt ich auch mich ganz allein;

Den herberufnen Hirten nur erwart ich noch.

IOKASTE.

Und wenn er ankommt, welchen Mut gewähret er?

ÖDIPUS.

Dies will ich sagen. Findet gleich sein Reden sich

Mit dir, so mag ich dieser Schreckensnot entgehn.

IOKASTE.

Und was vernahmst du nun von mir so Mächtiges?

ÖDIPUS.

Gemeldet, sagst du, hab er, daß den König dort

Erschlug ein Raubgesindel. Wenn er jetzt noch

Von solcher Anzahl redet, dann war ich es nicht;

Denn nimmer wird ja vielen einer gleich gezählt.

Doch wenn er einen einzgen Mann ansagt, sodann

Fällt diese Mordtat offenbar auf mich herab.

IOKASTE.

Nun, daß die Rede so erschien, sei ganz gewiß,

Und nicht verwerfen darf er dies veränderlich.

Denn alle Bürger hörten's an, nicht ich allein.

Doch spricht er abgewendet auch um weniges,

Deshalb, o König, sagt er nicht des Laios

Tod recht genau zutreffend, wie es Loxias

Kundmachte: sterben müß er einst durch meinen Sohn.

Nun aber konnt ihn jener Unglückselige

Nie morden, sondern kam zuvor ja selber um;

Daß weder hierher künftig Schicksalskunde mir

Noch wieder dorthin meinen Blick abwenden mag.

ÖDIPUS.

Du redest weislich. Aber doch den Bauer nun

Send aus daherzurufen; dies versäume nicht.

IOKASTE.

Ich sende schleunig. Aber komm ins Haus hinein!

Denn nimmer etwas tu ich, das nicht dir geliebt.


Beide ab.


Erste Strophe


CHOR.

Mich leite solch Los beständig,

Reiner Wort hochheilge Scheu zu halten stets

Und aller Handlung – der Gesetze vorstehn,

Schreitend in Lufthöhn, in des Äthers

Himmlischem Bezirk nur erzeugt vom Vater

Olympos' allein, die nicht Menschen

In Vergänglichkeit gebaren, weder[421]

Schläfert sie jemalen die Zukunft ein:

Es erfüllt Gott kräftig sie,

Nimmerdar alternd.


Erste Gegenstrophe


Hochmut gebiert frechen Herrscher.

Ward von hochmutblinder Tat er überfüllt,

Von ungehörig nimmerdar beglückter,

Steilester Höhn drohenden Hang dann

Steiget er empor und entstürzt in Elend,

Wo nimmer des Fußes Tritt aushilft.

Den Erretterkampf der Stadt jedoch nun

Trümmere niemals mir die Gottheit hin!

Es verlaß niemals mich

Göttlich Obwalten!


Zweite Strophe


Aber welcher mit frechen Händen

Oder Worten übertritt,

Nicht Dike befürchtend, weder

Göttersitz in Ehren hält,

Schreckvolles Verderben treff ihn

Für verruchte Lüsternheit.

Wofern er unrecht Truggewinn gewinnet

Und nicht das Abscheuvolle flieht,

Was unverletzlich aber, frech betastet –

Der Menschen wer mag sodann

Abwehren seinem Mut

Der Seele Zornpfeil? Denn wofern

Dergleichen Handlung ehrenwert,

Was feir ich Gesänge?


Zweite Gegenstrophe


Nimmermehr zu dem unberührten

Erdennabel wall ich fromm,

Nie mehr zum Abaiertempel,

Nimmer nach Olympia,[422]

Wenn solches sich augenscheinlich

Nicht dem Menschenstamm enthüllt.

Doch dir, Gewaltger, wenn man recht dich anruft:

Allherrscher Zeus! sei's nicht bedeckt

Noch deiner stets endlosen, heilgen Herrschaft!

Denn schwindend wird Laios'

Uraltes Götterwort

Hinweggeworfen; nimmer strahlt

Nunmehr Apollons Ehrenglanz;

Hinsinket die Gottheit!


Iokaste tritt auf.


IOKASTE.

Des Landes Herrscher, meinem Sinn gemutete

Zu Göttertempeln hinzugehn, in meiner Hand

Hier Kränz und Gaben dieser Opferspezerein.

Zu hoch ja treibet Ödipus den Mut empor

Mit tausendfältgen Sorgen und ermisset nicht,

Wie sonst, verständig Neues nach Vergangenem.

Bloß steht er jeder Rede, wenn sie Schrecken bringt.

Weil guter Zuspruch also nichts mir fruchten will,

So bring ich, Fürst Lykeios, dir, dem nächsten Gott,

Erbarmenflehend diese Weihverehrungen,

Auf daß du heilig lösest dies verworrne Leid,

Weil alle zagen, durch Besinnungslosigkeit

Gelähmt erblickend unsres Schiffes Steuermann.


Ein Bote tritt auf.


BOTE.

Erführ ich etwa, Freunde, wohl, von euch belehrt,

Wo hier die Wohnung eures Königs Ödipus?

Doch lieber, wenn ihr könntet, weist ihn selber nach.

CHOR.

Sein Dach ist dieses; selbst, o Fremdling, er darin,

Und seiner Kinder Mutter ist hier diese Frau.

BOTE.

Beglücket sei sie und Beglückten immerdar

Gesellet, ist sie jenes Manns vollkommnes Weib.

IOKASTE.

Nicht minder, Freund, du selber; würdig bist du des

Des guten Zuspruchs wegen. Doch enthülle, was

Du kommst begehrend oder was verkündigend.[423]

BOTE.

Glückreiche Botschaft deinem Haus und Gatten, Frau.

IOKASTE.

Wie lautet diese? Wer der Menschen sandte dich?

BOTE.

Das Land Korinthos. Freuen wird dich sicher, was

Ich melden will – wie anders? –, doch betrüben auch.

IOKASTE.

Was ist es? Welche Doppelkraft besitzt es denn?

BOTE.

Zum König will ihn jenes Volk des isthmischen

Gebietes nun einsetzen. Dort erscholl es so.

IOKASTE.

Wie? Führet nicht der greise Polybos mehr die Macht?

BOTE.

Wohl nicht, dieweil ihn fest im Grabe der Tod verschließt.

IOKASTE.

Wie sagst du? Polybos starb dahin?

BOTE.

Wofern ich nicht

Wahrhaftig dies verkünde, sei ich todeswert.

IOKASTE.

Oh, gehst du, Mädchen, eilig nicht hinein, dem Herrn

Dies anzumelden? – Hohe Göttersprüche, wo

Seid ihr? Es floh ja diesen bebend Ödipus,

Ihn nicht zu töten, lange Zeit; und jetzo fiel

Durch eignes Schicksal jener, nicht von seiner Hand.


Ödipus tritt auf.


ÖDIPUS.

O meiner liebsten Gattin, sprich, Iokastes Haupt,

Was hast du schnell mich aus dem Haus herbeigeholt?

IOKASTE.

Von diesem Mann dort höre; dann betrachte selbst,

Wo bleibt der Gottheit hehre Vorverkündigung.

ÖDIPUS.

Wer aber ist denn dieser? Was verkündet er?

IOKASTE.

Ihn schickt Korinthos, meldend, daß dein Vater dort,

Polybos, dahin ist, durch den Tod hinweggerafft.

ÖDIPUS.

Wie sagst du, Fremdling? Künde selbst mir dieses an.

BOTE.

Wofern ich deutlich dieses erst anmelden soll,

So wisse: jener schritt den letzten Todesgang.

ÖDIPUS.

Und wie? Von Arglist oder Krankheitslos getilgt?

BOTE.

Ein kleiner Anstoß schläfert ein den alten Leib.

ÖDIPUS.

So scheint es, Krankheit nahm den armen Greis dahin.

BOTE.

Nachdem er langer Zeiten Maß doch angefüllt.

ÖDIPUS.

Weh, weh! Wozu denn, Gattin, dient Erkundigung

Bei Pythos Seherherde, bei dem Vogelschwarm,

Der hoch dahertönt, deren Weisheitsrat gedroht,

Den Vater sollt ich morden einst, der nun verhüllt[424]

Von tiefem Erdreich liegt? Und ich war ruhig hier,

Kein Schwert berührend; hat ihn nicht nach mir verzehrt

Sein Sehnen, freilich fand er dann durch mich den Tod.

Doch jede mir erschollne Gottverkündigung

Folgt' hin zum Hades jenem Greis, nichtswert und leer.

IOKASTE.

Und hab ich dieses lange nicht vorhergesagt?

ÖDIPUS.

Ich weiß es. Mich nur hatte Furcht zu sehr verführt.

IOKASTE.

Wirf also künftig solches nicht in deinen Mut.

ÖDIPUS.

Und muß ich dennoch nicht das Bett der Mutter scheun?

IOKASTE.

Was soll der Mensch denn fürchten, dem nur blindes Los

Obherrscht und Vorschau nimmer hell gegeben ist?

Am besten lebst du, wie du kannst, sorglos dahin.

Drum fürchte nicht mehr deiner Mutter Ehebett.

Mit ihren Müttern schliefen viel der Menschen ja

Bereits in Täuschungsträumen; doch wer solcherlei

Für nichts beachtet, trägt allein das Leben leicht.

ÖDIPUS.

Gut wäre freilich alles dies, o Frau, gesagt,

Wenn nicht die Mutter lebte. Da sie lebet, muß

Ich, sprachst du noch so richtig, doch notwendig fliehn.

IOKASTE.

Wohl ist ein helles Auge dir des Vaters Grab.

ÖDIPUS.

Ein helles wahrlich. Doch es schreckt die Lebende.

BOTE.

Von welcher Frau denn fürchtet ihr so Schreckliches?

ÖDIPUS.

O Greis, von Merope, die des Polybos Gattin war.

BOTE.

Was aber bringt euch solche Furcht herbei von ihr?

ÖDIPUS.

Ein gottgesandter grauser Schicksalsspruch, o Freund.

BOTE.

Geheimer? Oder ständ er mir zu wissen frei?

ÖDIPUS.

Vollkommen. Einstmals sagte dies mir Loxias:

Der Mutter Ehbett müß ich noch besteigen und

Ausgießen meines Vaters Blut mit meiner Hand,

Weshalb ich aus Korinthos lange Zeit bereits

In fernes Land ging; zwar beglückt, doch bleibet stets

Kein süßrer Anblick, als der Eltern Auge schaun.

BOTE.

Und, dieses scheuend, bist du dort hinweggeflohn?

ÖDIPUS.

Um je des Vaters Mörder nicht zu werden, Greis.

BOTE.

Und brachte solchem Zagen ich, o Herrscher, denn,

In treuer Absicht kommend, nicht Beruhigung?

ÖDIPUS.

Auch sollst du wahrlich würdgen Lohn empfahn dafür.[425]

BOTE.

Auch kam ich drum vorzüglich, daß du, rückgekehrt

Zu deiner Heimat, Gutes mir gewähretest.

ÖDIPUS.

Doch nicht betret ich meiner Eltern Aufenthalt.

BOTE.

Sohn, deutlich zeigst du deines Tuns unwissend dich.

ÖDIPUS.

Wie dieses, Alter? Bei den Göttern, sag es mir!

BOTE.

Wofern die Heimat ihrethalb du meiden willst.

ÖDIPUS.

Ich bebe, wahrhaft geh' Apollons Wort hinaus.

BOTE.

Daß deiner Eltern Greuel noch dich treffen wird?

ÖDIPUS.

Dies eben, Alter, dieses schreckt mich immerdar.

BOTE.

Nun, weißt du endlich, daß du nie mit Recht gebebt?

ÖDIPUS.

Wieso, wofern ich meiner Eltern Sohn entsproß?

BOTE.

Weil nimmer Polybos deinem Blut verbunden war.

ÖDIPUS.

Wie sagst du? Polybos hätte denn mich nicht erzeugt?

BOTE.

Wahrhaftig gleich mir selber, doch mitnichten mehr.

ÖDIPUS.

Nicht mehr der Vater als der unbekannte Mann?

BOTE.

Ja; denn es zeugte weder der noch jener dich.

ÖDIPUS.

Weswegen aber hat er stets mich Sohn genannt?

BOTE.

Dieweil er, wisse, dich von mir als Gabe nahm.

ÖDIPUS.

Von fremder Hand denn hat er mich so sehr geliebt?

BOTE.

Ihn trieb zu solchem lange Kinderlosigkeit.

ÖDIPUS.

Und warest du mein Käufer oder Erzeuger selbst?

BOTE.

Ich fand dich einst in Kithairons tiefer Waldesschlucht.

ÖDIPUS.

Weswegen kamst du wandernd denn an jenen Ort?

BOTE.

Daselbst des Bergwalds Herden war ich vorgesetzt.

ÖDIPUS.

Ein Hirte warst du, welcher arm umschweifend dient'?

BOTE.

Dein Retter dennoch war ich, Sohn, zu jener Zeit.

ÖDIPUS.

Von welchen Übeln trafst du denn mich dort bedrängt?

BOTE.

Die Fußgelenke mögen des dir Zeugen sein.

ÖDIPUS.

Weh! Was erwähnst du jetzo mir das alte Leid?

BOTE.

Der Füße ganz durchbohrte Fersen löst ich dir.

ÖDIPUS.

Schmachvoll Erkennungszeichen ward mir beigetan!

BOTE.

So daß der Unfall dir annoch den Namen gibt.

ÖDIPUS.

Vom Vater oder der Mutter? Bei den Göttern, sprich!

BOTE.

Ich weiß es nicht. Mehr wüßt es, wer dich reichte mir.

ÖDIPUS.

Von andern nahmst du, fandest nicht mich selber auf?

BOTE.

Nein. Denn es gab dich mir ein andrer Hirte dort.

ÖDIPUS.

Und wer? Entdeckst du etwa den mit Worten uns?[426]

BOTE.

Ein Diener Laios' ward er, weiß ich wohl, genannt.

ÖDIPUS.

Wie? Jenes Königs, welcher einst dies Land beherrscht?

BOTE.

Desselben. Dieses Mannes Hirt war jener dort.

ÖDIPUS.

Und ist er noch am Leben, ihn allhier zu sehn?

BOTE.

Am besten müßt ihr's wissen, Ingeborene.

ÖDIPUS.

Ist euer jemand, welche stehn ringsum gedrängt,

Der weiß den Hirten, dessen jetzt der Mann gedacht,

Und auf den Feldern oder auch ihn hier gesehn?

Der meld es. Denn dies aufzuhüllen drängt die Zeit.

CHOR.

Kein andrer, mein ich, wär es als vom Felde der,

Auf dessen Anblick lange schon du harrst, jedoch

Iokaste sagt es sicher dir am besten an.

ÖDIPUS.

Frau, meinst du, jener, welchem wir nur jetzt Gebot,

Herbeizukommen, sandten, sei, den dieser sagt?

IOKASTE.

Wen sagte dieser? Nicht beachte dies. Und was

Ich unbedacht gesprochen, des entschlage dich.

ÖDIPUS.

Fern sei ja solches, daß ich nicht, solch Zeichen nun

Empfangend, gänzlich mein Geschlecht enthüllen soll.

IOKASTE.

Nicht, bei den Göttern, wenn das eigne Leben dir

Anliegt, erkund es. Gnüge mein erkrankter Mut.

ÖDIPUS.

Nichts fürchte. Zeig ich nach der dritten Mutter mich

Dreifacher Knecht auch, nimmer schienest du gering.

IOKASTE.

Ich flehe dennoch, folge mir! Tu solches nicht!

ÖDIPUS.

Wohl nimmer folgt ich, dieses hell nicht einzusehn.

IOKASTE.

Doch, treu gesonnen, rat ich nur das Beste dir.

ÖDIPUS.

Dies Beste quält mich eben längst belästigend.

IOKASTE.

Ach, Armer, daß du nimmer wüßtest, wer du bist!

ÖDIPUS.

Führt keiner endlich jenen Hirtenmann daher?

Ihr aber laßt nur ihres hohen Stammes Lust.

IOKASTE.

O weh, o weh, Unselger! Dies nur bleibet dir

Mein einzger Zuruf, nimmermehr ein andrer noch.


Ab.


CHOR(FÜHRER).

Warum enteilet, Ödipus, davongejagt

Von grimmen Ängsten, diese Frau? Schon sorg ich nun,

Es brech aus Schweigen noch ein Unheilschlag heraus!

ÖDIPUS.

Was immer will auch, brech heraus. Sehn will ich doch,[427]

Und wär's gering nur, mein Geschlecht uneingehüllt.

Doch sie gewißlich, als ein hochmutvolles Weib,

Befürchtet schamvoll meines Stamms Unwürdigkeit.

Ich aber, Tyches Sprossen selbst mich haltend, die

Mir reichlich austeilt, werde drum nicht schandenwert.

Denn diese war mir Mutter, und es haben mich

Verwandte Monden groß und klein hervorgestellt.

Von solcher Abkunft, werd ich so entartet nie

Befunden, daß ich meinen Stamm nicht forschete.


Strophe


CHOR.

Wohnet in mir Seherahnung

Und Verstand in meinem Sinn,

Nimmer entbehren, Kithairon,

Beim Olympos, sollst du dann,

Wenn morgen Vollmond emporglänzt,

Froh zu empfangen als Landsmann Ödipus'

Meinen Preis, als Amm und Mutter,

Und der Festreihn Lust zu teilen,

Welcher du meinen Gebie-

Tern Freundeshuld gereicht hast.

Heilbringender Phoibos, sei

Auch dir genehm solches!


Gegenstrophe


Teueres Kind, wer gebar dich?

Wer, die endlos lebt? Gewiß

War der Gebirgebesteiger

Pan der Jungfrau oder ihr

Loxias einst froh vereint. Den

Freun ja verwilderter Höhn Bergwaldungen.

Oder war's Kyllenes Herrscher?

Oder Bakchos, welcher hauset

Oben im Gipfelgebirg,

Gewann dich rasch von einer

Aus Helikons Nymphenschwarm,

Dem oft er froh mitspielt.
[428]

ÖDIPUS.

Vermut auch ich wohl, der ihn nie antraf, o Greis,

Dies recht, so glaub ich jenen Hirten dort zu sehn,

Den lange schon wir suchen, weil der Jahre Last

Wohl übereinstimmt und mit dir zusammentrifft.

Sonst aber kenn ich, als von meiner Dienerschaft,

Auch seine Führer. Besser doch entscheidet hier

Dein Wissen, wenn du schon zuvor den Mann geschaut.

CHOR.

Schon kenn ich ihn. Er ist es. Denn dem Laios,

Wenn je ein andrer, war er stets ein treuer Hirt.


Der Hirt wird herzugeführt.


ÖDIPUS.

Zuerst, korinthischer Fremder, dich befrag ich, ob

Du diesen ansagst.

BOTE.

Diesen, den du nahe siehst.

ÖDIPUS.

Du Alter dorten, blicke grad hierher und sprich,

Wonach ich frage. Warst du einst des Laios?

HIRT.

Knecht war ich, heimgeboren, nicht erhandelt ihm.

ÖDIPUS.

Und welchem Werk obliegend, welcher Lebensart?

HIRT.

Den Herden folgt ich meine meiste Lebenszeit.

ÖDIPUS.

Doch welcher Gegend allermeist hinzugesellt?

HIRT.

Dem Berg Kithairon nebst dem Grenzumkreise dort.

ÖDIPUS.

Und diesen Mann hier, kennst du den vielleicht von da?

HIRT.

Von welcher Tat her? Welchen Mann erfragest du?

ÖDIPUS.

Den hier du siehest. – Oder trafst ihn irgendwo?

HIRT.

Nicht, daß ich schnell es sagte nach Erinnerung.

BOTE.

Kein Wunder auch, o Herrscher. Doch des Dunklen will

Ich klar ihn bald erinnern. Denn er weiß gewiß,

Wie durch Kithairons Weidbezirk vor langer Zeit,

Er selbst mit zwei Viehherden, ich mit einer nur,

Vom Lenze bis Arkture stets gesellet wir

Drei ganze Monatsfristen einst hindurchgebracht.

Zum Winter endlich trieb zu meinen Ställen ich

Die meinen, dieser nach den Höfen Laios'.

Nun, sag ich wirklich oder nicht Geschehenes?

HIRT.

Du sagst die Wahrheit, freilich her aus langer Zeit.

BOTE.

Auf, rede nun. Gedenkst du, daß ein Knäbelein

Du mir als Zögling aufzuziehn gegeben hast?[429]

HIRT.

Was ist? Zu welchem Ziele fragst du diesem nach?

BOTE.

Der ist es, Freund, derselbe, der da Knabe war.

HIRT.

Nicht still? Verlorner! schweigst du nicht den Augenblick?

ÖDIPUS.

Ha, diesen, Alter, strafe nicht, da deinem Wort

Mehr Strafe zukommt, wahrlich, als dem seinigen.

HIRT.

Doch was, der Herren Bester, was begeh ich denn?

ÖDIPUS.

Das Kind, dem dieser nachgeforscht, verschweigest du.

HIRT.

Er redet unverständig auch und leer bemüht.

ÖDIPUS.

Du sagst es nicht in Güte, doch mit Tränen einst!

HIRT.

Nicht, bei den Göttern, züchtge noch mich alten Mann!

ÖDIPUS.

Dreht auf den Rücken keiner ihm die Hände gleich?

HIRT.

Weshalb? O weh mir! Welche Kund erstrebest du?

ÖDIPUS.

Den Knaben gabst du diesem hin, wonach er fragt?

HIRT.

Ich gab ihn. Hätte doch der Tod mich eh entrafft!

ÖDIPUS.

Dahin gelangst du, sagst du es nicht rein heraus.

HIRT.

Und sag ich alles, sterb ich noch unseliger.

ÖDIPUS.

Der Alte, scheint es, jaget nach Verzögerung.

HIRT.

Nein, sicher nicht. Schon sagt ich, diesem gab ich ihn.

ÖDIPUS.

Woher? Und war's dein eignes oder Fremder Kind?

HIRT.

Mein eignes nicht. Mir war's von andern anvertraut.

ÖDIPUS.

Von welchem unsrer Bürger und aus welchem Haus?

HIRT.

Nicht, bei den Göttern, nicht, o Herr, erforsche mehr!

ÖDIPUS.

Verloren bist du, frag ich dies zum andernmal!

HIRT.

Nun wohl; entsprossen war es hier bei Laios.

ÖDIPUS.

Von Sklaven oder jenes echtgeborner Sohn?

HIRT.

O weh! Zu sagen nah ich schon dem Schrecklichen!

ÖDIPUS.

Und ich zu hören. Werde doch es angehört.

HIRT.

Sein eignes ward das Kind geheißen; drinnen sie,

Die Gattin, sagt' am besten dir das alles an.

ÖDIPUS.

Es gab ihn also diese dir?

HIRT.

Gewiß, o Fürst.

ÖDIPUS.

Mit welchem Auftrag?

HIRT.

Daß ich ihn vernichtete.

ÖDIPUS.

Den eignen Säugling?

HIRT.

Aufgeschreckt durch Götterspruch.

ÖDIPUS.

Der war?

HIRT.

Die Eltern mord er einst, so lautet' es.[430]

ÖDIPUS.

Wie aber gabst du diesem Greis ihn doch dahin?

HIRT.

Mitleidbewegt, o Herrscher, ihn in fremdes Land,

Woher er selbst war, hinzutragen; aber der

Erhielt ihn nun zum Jammer. Denn wenn du es bist,

Den dieser aussagt, bist du unheilvoll gezeugt.

ÖDIPUS.

O weh, o weh! Das alles kommt ja klar heraus!

O Licht, zum letzten Male schau ich heute dich!

Der, wem er nimmer sollt, entsproß; umging, mit wem

Er nimmer sollte; wen er nicht gedurft, erschlug!


Eilt in das Haus.


Erste Strophe


CHOR.

O Menschengeschlechter, weh!

Wie muß ganz ich dem Nichts allein

Gleich im Leben euch zählen!

Denn welcher der Menschen, wer

Trägt mehr Gütergenuß davon,

Als soviel ihn der Schein erhebt,

Bis vom Schein er hinabsinkt?

Ja, dein warnend Geschick belehrt,

Ja, dein zorniges, deines, ach,

Allunglücklichster Ödipus,

Nichts selig zu preisen!


Erste Gegenstrophe


Der überbewundernswert

Traf sein Ziel und gewaltig ward

Höchst glückreicher Besegnung,

O Zeus, und dahingetilgt

Dies scharfklauige Weib und ihr

Schicksallied, dem Verderben als

Schutzturm ragend der Landschaft:

Weshalb König du wurdest mir

Genannt, welcher, mit höchstem Preis

Verehrt, Thebes gewaltger Stadt

Obherrschend gebotest.


[431] Zweite Strophe


Wer aber lebt jammervoller nun zu schaun!

Wer mehr in Qual, in grimmvolleren Greul

Vom Wechsellos hinabgestürzt!

O weh, rühmlich Haupt Ödipus',

Dem derselbe Port einst genügend war,

Dich aufzunehmen als Kind und Kindeserzeuger auch!

Wie denn vermocht es, wie das Saatfeld

Des Erzeugers, Armer, ach!

Trug es dich stillschweigend

Lange Zeit schon?


Zweite Gegenstrophe


Dich zog die allsichtge Zeit mit Zwange vor,

Die Ehe zeiht, die graunvolle, sie längst,

Die selbst erzeuget, zeugende.

O weh, Leidenskind Laios'!

Hätt ich, hätt ich dich nimmerdar geschaut!

Denn laut ertönet in ungemessenem Jammer mein

Schreiender Mund! Und mir in Wahrheit

Zu eratmen halfest du,

Gabest dem Aug endlich

Schlaferquickung.


Ein Diener kommt aus dem Palast.


DIENER.

Oh, dieser Landschaft allezeit Verehrteste,

Was sollt ihr hören, was sogleich anblicken, was

Für Leid erheben, hegt ihr noch aufrichtig für

Der Labdakiden Herrscherhaus Bekümmernis!

Denn weder, mein ich, Istros weder Phasis wäscht

Jemals mit Sühnung dieses Haus, das solcherlei

Verbirgt. Jedoch zum Lichte kommt dies Leid sogleich,

Freiwillig, nicht gezwungen; und der Qualen sind

Am meisten schmerzhaft alle selbst bereiteten!

CHOR(FÜHRER).

Nichts fehlt den erst bereits erfahrnen wahrlich schon

Zu schweren Seufzern. Welche fügst du jenen bei?

DIENER.

Vernimm der Worte schnellstes auszusprechen und[432]

Zu hören, daß Iokastes göttlich Haupt erblich.

CHOR.

O Jammerwerte! Doch vermittels welcher Schuld?

DIENER.

Zu eignen Händen. Doch der Unheilstat entgeht

Dir nun das Trauervollste; denn es fehlt die Schau.

Indes soviel nur mein Gedächtnis fassen mag,

Vernimm die Schrecken jener Unglückseligen.

Sobald von Wahnsinn übermannt die Halle sie

Durcheilet, flog sie wild hinan zum Ehebett,

Das Haar mit zwiefach starker Hand zugleich erfaßt;

Und hingelangt, stieß jene Tür sie zu und rief,

Verschlossen drinnen, viel den toten Laios,

Des alten Liebumfanges eingedenk, wovon

Er sterben sollte, lassen die Gebärerin

Zur Greuelzeugung seinem Sohn hinzugelegt;

Und schrie das Ehbett, wo zugleich unselig sie

Den Mann vom Manne, durch das Kind das Kind gewann!

Nicht weiß ich aber, wie sie weiter unterging;

Denn eingestürzt kam schreiend Ödipus, worauf

Nun ferner niemand jener Schreckenslos ersah.

Nur sahn wir diesen in Ängsten wild herumgejagt.

Denn bittend irrt' er, ihm ein Schwert zu reichen, um,

Rief nach dem Unweib, wo es ihm zu treffen sei,

Das Doppelsaatfeld seiner und der Kinder auch!

Und wie er umtobt', zeigt' ein Gott ihm dieses an,

Der Männer niemand wahrlich, der ihm nahe war.

Denn gräßlich heulend kam er, wie dahingeführt,

Das Doppeltor anspringend; aus den Pfosten riß

Er aus die hohlen Schlösser, und er brach hinein,

Wo plötzlich schwebend jene Frau war anzuschaun,

In hohes Stranggeflechte festgeknüpft. Jedoch

Bei solchem Anblick ließ er, schwer aufbrüllend, tief

Herab das aufgezogne Seil. Und als darauf

Die Arme dalag, folgten Schrecken anzusehn.

Denn aus der Frau Gewändern goldgetriebene

Brustspangen reißend, ihre Schmuckbefestigung,

Erhob er die und traf der Augenkreise Paar

Mit solchem Laut: Nie sollten ihn sie wieder schaun,[433]

Noch was er duldet' oder was er Böses tat,

Daß, wen sie niemals sollten, nun in Finsternis

Sie schauten, wen er wollte, nicht erkenneten.

Mit solchem Fluchen, hoch die Wimpern hebend, schlug

Er mehr als einmal, und es färbten die blutigen

Augäpfel rot die Wangen und entsandten nicht

Des Mordes Naß nur tropfenweis, vielmehr zugleich

Kam dunklen Blutstroms Hagelschauer herabgestürzt.

So brach von zweien, nicht von einem aus das Leid;

Dem Mann und seinem Weibe war gemein das Leid.

Der altvergangne Segen auch war erst gewiß

Ein Segen wahrhaft, aber nun an diesem Tag

Gestöhn, Verfluchung, Schanden, Untergang; des Leids,

Soviel nur irgend es Namen gibt, fehlt keins daran.

CHOR.

Ist nun Erholung diesem unglückselgen Leid?

DIENER.

Er schreit, das Tor zu öffnen, darzustellen ihn

Zur Schau, den Vatermörder dem Kadmeervolk,

Der Mutter ... Scheußliches rufend, Unaussprechliches!

Dieweil er selbst vom Lande fort sich stößt und nicht

Daheim verharrt, in eignen Flüchen schwer verflucht.

Doch Stütze mangelt und der Weg Anleiter ihm

Annoch; zu groß zu tragen ist des Übels Last.

Auch dir enthüllt er's. Denn des Tores Schlösser tun

Sich auf bereits, und ohne Zögern schauest du

Ein Jammerschauspiel, Feinden selbst mitleidenswert.


Ödipus wird herausgeführt.


CHOR(FÜHRER).

O schrecklich! Den Menschen ein Graunanblick!

O schrecklicher war nichts andres, soviel

Ich zuvor antraf! Ach, Unheilssohn,

Wie faßte dich Wut? und der Himmlischen wer

Häuft' stürmend hinan mehr Zorn als Zorn

Auf dein schwerwaltendes Schicksal?

Weh! Unheil! Weh! Nicht wag ich es, dich

Zu beschaun, und begehrte so vieles Gespräch,

Viel zu erkundigen, viel selbst dich zu schaun!

Solch furchtbar Schaudern erregst du![434]

ÖDIPUS.

Ach, ach, ach, ach!

Weh, weh! Unseliger ich! Es betritt

Welch Land mein Fuß?

Wo fliegt weit aus mir die Stimme dahin?

Ach, Götter, wohin nun stürmt ihr?

CHOR.

Zu Greueln, nicht zu hören und nicht anzuschaun.


Erste Strophe


ÖDIPUS.

O Nachtgewölk, jämmerlich verhüllendes,

Du scheußlich belagerndes,

Nimmer bezwungen, irr

Dahinstürmend! Weh mir!

O wehe nochmals! Wie zugleich durchbohrte mich

Der Biß der Stacheln und der Not Erinnerung!

CHOR(FÜHRER).

Kein Wunder wahrlich, daß in solchen Leiden auch

Du doppelt trauerst und gedoppelt Schmerzen trägst.


Erste Gegenstrophe


ÖDIPUS.

O teurer Freund, einziger, geduldiger,

Du pflegest allein ihn noch,

Nimmer verlassend, den

Gesichtlosen Mann. Weh!

Denn nicht verborgen bist du mir; wohl hab ich dich,

Wenngleich verdunkelt, durch der Stimme Laut erkannt.

CHOR.

O Schreckenstäter, auszurotten dein Gesicht,

Wie trugst du dieses? Welcher Gott empörte dich?


Zweite Strophe


ÖDIPUS.

Es war Phoibos, Freund', es war dies Phoibos nur,

Welcher es bereitete,

Das entsetzliche Jammerleid.

Sie aber schlug mit Händen

Ich allein, ich Unselger!

Welches verblieb zu schaun,

Dem, wenn er schaute, Süßes nicht mehr war zu sehn!

CHOR.

So war es, wie du selbst gesagt.

ÖDIPUS.

Was blieb zu schaun künftig, was[435]

Lieblich, welche Red annoch

Mir anzuhören, Freunde, freudenvoll?

Führet verjaget hin

Ohne Verzögern rasch,

Führet, o Freunde, mich,

Eure Besudelung,

Mich, den verfluchtesten, den

Unter dem Erdgeschlecht

Götterverhaßten Mann!


CHOR.

Ach, wie an Schicksal so an Sinn Zerrütteter,

Wie wünscht ich, niemals hättest du dich selbst erkannt!


Zweite Gegenstrophe


ÖDIPUS.

Verflucht, welcher dort im Bergwald meinem Fuß

Lösete die bittere,

Die bedrückende Fessel und

Mich selbst vom Mord errettet',

Nimmer mir zu Dank, wahrlich!

Ward ich vertilget dort,

Nicht wär ich mir nun noch den Meinen solche Qual!

CHOR.

Auch mir erwünscht wär dies geschehn.

ÖDIPUS.

Den Vater schlug dann ich nicht,

Weder hieß ich Ehgemahl

Derselben Gattin, der ich selbst entsproß.

Jetzo bejammernswert

Und der Befleckten Sohn;

Selber Erzeuger, wo

Selbst ich entsprossen, weh!

Wäre gewaltigeres

Wehe denn Weh erzeugt,

Loset' es Ödipus!


CHOR.

Ich zweifle, sag ich, daß du wohl den Schluß gefaßt;

Denn besser wär es, ganz dahin, als blind gelebt.

ÖDIPUS.

Daß nicht am besten dieses so vollendet sei,

Das lehre nimmer weder gib mir neuen Rat.[436]

Mit welchen Augen hätt ich denn, hinabgelangt

Zum Hades, jemals meinen Vater angeblickt

Und wie die Leidensmutter, welchen beiden ich

Mehr als des Stranges werte Tat hab ausgeübt?

Und wäre solches irgend auch begehrenswert:

Der so gesäten Kinder Saat noch anzuschaun?

Niemals gewißlich! Meinen Augen nimmermehr!

Noch diese Stadt, die Türme, noch der Himmlischen

Geweihte Bilder, deren ich Unseligster

Von allen, welche Thebe trug, mich selbst allein

Mit schönstem Recht beraubte, selbst verkündigend,

Den Frevler nimmer zu dulden, den unheilig selbst

Angab die Gottheit, und erzeugt von Laios.

Da solchen Schmachfleck meiner selbst ich aufgedeckt,

Vermöcht ich graden Blickes euch noch anzuschaun?

Mitnichten! Sondern könnten Hemmungsdämme noch

Des Lautes Strom abwehren, nicht verschonet ich,

Ganz abzuschließen meinen unheilvollen Leib,

Ganz blind zu sein und nichts zu hören mehr! Es ist,

Fern seinem Unheil sinnberaubt zu leben, süß.

O was, Kithairon, hast du mich empfangen, was

Nicht gleich getötet, daß ich nie dem Menschenstamm

Der eignen Abkunft Wurzel selbst erspürete?

Polybos und du, Korinthos, und ihr alten, mir

Vermeinten Vatergemächer, ach, was habt ihr mich

So schön, des Unheilsgiftes Hüll, heraufgenährt,

Der nun von Schlechten selber schlecht sich dargetan.

O jener Kreuzweg, tiefverborgner Waldesort,

Gebüsch und dreigespaltner Weg in enger Schlucht,

Die einst, von meiner Hand verspritzt, mein eignes Blut

Des Erzeugers tranket, mögt ihr mein gedenken noch?

Welch Werk ich euch verübte, was hierhergelangt,

Ich wiederum begangen? Ehen, Ehen, ach!

Erst habt ihr mich gezeuget, und empfangen dann

Des Erzeugten Samen wieder, und hervorgesproßt

Erzeuger, Brüder, Kinder, allverwandtes Blut,

Und Bräute, Mutter, Ehefraun und alles, was[437]

Nur je der Greuelwerke mag bei Menschen sein.

Doch was zu tun nicht ziemet, ziemt auch Worten nicht.

Drum ohne Zögern, bei den Göttern, fern hinaus

Entrücket, oder mordet, oder stürzet mich

In Meeresfluten, wo ihr nie mich wiederschaut.

Auf, würdigt anzurühren mich Verstoßenen.

O folget gern; nichts fürchtet. Denn mein Leid vermag

Der Menschen niemand außer mir mit auszustehn.

CHOR.

Und deinem Flehen kommt bereits willkommen dort

Zu Rat und Handlung Kreon selbst daher, indem

Nur dieser einzig unsres Landes Hort verblieb.

ÖDIPUS.

O weh! Mit welchen Worten red ich diesen an?

Und welch Vertraun kommt jetzo mir noch zu? dieweil

Vor diesem gänzlich ungerecht ich erst bestand.


Kreon kommt.


KREON.

Nicht als Verspotter, Ödipus, herzugeeilt

Erschein ich, noch zum Hohne deines Mißgeschicks.


Zu den Dienern.


Wenn aber, scheulos, nicht der Sterblichkeit Geschlecht

Ihr achtet, weicht doch jenes allernährenden

Helios erhabnem Flammenstrahl, nicht solchen Fluch

Uneingehüllet aufzutun, den Erde nicht

Noch heilger Regen noch das Licht aufnehmen mag!

Nein, ohne Zögern werd er dort hineingeführt.

Zumeist vermag ja sein Geschlecht noch anzusehn

Und anzuhören unentweiht verwandtes Weh.

ÖDIPUS.

Oh, bei den Göttern, weil du mir die Furcht getilgt,

So edel nahend diesem Allerschnödesten,

Gewähre dies mir, welches dich, nicht mich betrifft!

KREON.

Und welch Verlangen treibet dich zu solchem Flehn?

ÖDIPUS.

Aus dieser Landschaft wirf mich ungesäumt, entfernt

Von aller Menschen Stimmen und Genossenschaft.

KREON.

Schon, wiß es, hätt ich dies getan, wofern ich nicht

Vom Gott erkunden wollte, was sein Wille sei.

ÖDIPUS.

Er hat ja deutlich seinen Urteilsspruch enthüllt:

Des vatermordenden Frevlers raschen Untergang.[438]

KREON.

So scholl es freilich. Aber da sich alles so

Gewendet, frag ich, was zu tun, ihn wiederum.

ÖDIPUS.

Um mich Verlornen fragst du denn von neuem an?

KREON.

Du selber stiftest Glauben wohl dem Götterwort.

ÖDIPUS.

Nun aber bitt ich dieses dich inbrünstiglich:

Ihr dort im Hause gib ein Grab, wie selber du

Willst, weil du schicklich dein Geschlecht bestatten mußt.

Doch mein Geburtsort wolle nicht mich würdigen,

Daß ich in Zukunft lebend sein Bewohner sei.

Nein, laß mich wohnen im Waldgebirg, wo mein genannt

Nun sei Kithairon, welchen schon die Mutter wie

Der Vater meinem Leben echt zum Grabe gab,

Daß diesen nun ich sterbe, die mich töteten.

Doch sicher weiß ich dieses: Krankheit konnte nicht

Noch andres je mich tilgen; denn schon sterbend ward

Ich nie gerettet außer zur Entsetzensnot.

Doch unser Schicksal gehe frei, wohin es will.

Der Kinder aber für die Söhne, Kreon, sei

Nur immer sorglos; Männer sind sie, welche nie,

Wohin sie kommen, trifft des Leibes Dürftigkeit.

Doch meine Jungfraun, meine leidbehäuften nur,

Weil diesen niemals aufgestellt der Speisen Tisch

War ohne mich, den Vater, sondern wessen ich

Anrührte, diesen wurde des ihr Teil gereicht –

Die schütze treulich; aber gib sie meiner Hand

Noch anzurühren, bei der Not Betrauerung!

O geh, Fürst!

Geh, Mann von edlem Stamme! Tastend glaub ich sie

Dann noch zu haben, wie ich sonst sie angeschaut.

Was sag ich?

Vernähm ich, Götter, Tränen meiner Töchterlein

Herniederströmen? Bringet selbst mitleiderweicht

Mir Kreon meiner Erzeugten Allerteuerste?

In Wahrheit?


Kreon bringt die Töchter.


KREON.

Ja, wahrlich! Selber hab ich dies für dich getan,

Gar wohl die Sehnsucht kennend, die du längst gefühlt.[439]

ÖDIPUS.

Sei immer glückreich, und allein für diesen Gang

Sei du der Gottheit besser stets denn ich bewahrt!

Wo, teure Kinder, seid ihr? Kommt und tretet her,

Zu meinen Bruderhänden hier herangenaht,

Die nun dem Vater, welcher euch gepflanzet, so

Zu schaun bereitet seiner Augen vorgen Glanz;

Der, nichts, o Kinder, schauend und unwissentlich,

Euch Vater wurde, wo ich selbst war ausgesät.

Und euch bewein ich – denn zu schaun vermag ich nicht –,

Bedenkend, welcher bittre Rest der Lebenszeit

Euch nun verhängt ist bei den Menschen auszustehn.

Zu welchem Umgang lassen nun die Bürger euch,

Zu welcher Festschau, daß davon ihr tränenvoll

Nicht wieder heimkehrt, selber statt des Schaugeprängs?

Ja, wenn des Ehebundes Ziel ihr nahe seht,

Wer käme dann wohl? Wer erfrecht' sich, Töchterlein,

Zu nehmen solche Greuel, die an meinem Stamm

Und eurem haften, schreckenvoll verderbliche?

Denn welches fehlt der Übel? Euer Vater schlug

Tot seinen Vater. Seine Mutter befruchtet' er,

Von der er selbst war aufgesproßt; von eben der

Gewann er euch dann, die auch ihn hervorgebracht.

So wird man euch verhöhnen. Dann wer freiet' euch?

Nein, wahrlich, niemand, Kinder; sondern euch verzehrt

Das Alter fruchtlos, ehelos, unzweifelhaft.

O Sohn Menoikeus', weil allein als Vater du

Für die zurückbleibst – wir ja, die sie zeugeten,

Sind nun dahin, wir beide –: nicht verlasse sie,

Einst bettelnd, mannlos, dir verwandt, umherzugehn,

Nicht meinem Unheil mache je das ihre gleich!

Nein, fühle Mitleid, wenn du schaust die Mägdelein

Entblößt von allem, außer was du reichen magst!

Mit deinem Handschlag, Edler, sprich mir solches zu.

Euch, Kinder, gäb ich, wäre Sinn euch schon gewährt,

Noch viel Ermahnung; nun erfleh ich dieses euch:

Stets, wo es frommt, zu leben und ein besser Los

Als Eures Bluts Erzeuger immerdar zu schaun.[440]

KREON.

Ende! Wie dich Schmerz dahinreißt! Aber wandl ins Haus hinein.

ÖDIPUS.

Schon gehorch ich, wenn auch ungern.

KREON.

Alles gut zu seiner Zeit.

ÖDIPUS.

Weißt du, wann ich gehe?

KREON.

Sag es; dann, belehret, weiß ich es.

ÖDIPUS.

Wenn ich fern zum Land hinaus soll.

KREON.

Gottes Wahl erflehest du.

ÖDIPUS.

Doch verhaßt den Göttern komm ich.

KREON.

Drum erreichst du diesen Wunsch.

ÖDIPUS.

Meinst du dies?

KREON.

Ohn echte Meinung sprech ich nie

grundloses Wort.

ÖDIPUS.

Nun hinein entführe schnell mich.

KREON.

Wandle; doch die Kinder laß.

ÖDIPUS.

Nimmermehr auch diese nimm mir!

KREON.

Alles woll erlangen nicht;

Was du schon erlangtest, hat ja nicht das Leben dir beglückt.


Beide ins Haus.


(CHOR.

O Bewohner unsrer Thebe, schauet an, der Ödipus,

Der erforscht' so tiefe Rätsel und verehrt vor allen war,

Dessen Los der Bürger niemand ohne Sehnsucht angeschaut,

Nun in welch graunvolles Schicksals Wogen der hinabgeriet!

Drum der Erdenmenschen keinen, harrend weislich immerdar,

Erst den letzten Tag zu schauen, preise ganz beglückt, bevor

Durch das Lebensziel er durchging, ohne daß ihm Leid geschah!)


Quelle:
Griechische Tragiker: Aischylos, Sophokles, Euripides. München 1958, S. 396-441.
Entstanden zwischen 430 und 425 v. Chr. Der Text folgt der Übersetzung von K.W.F. Solger.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Ödipus
König Oedipus
König Ödipus
Sophokles: König Ödipus. Lektüreschlüssel
König Ödipus: Mit einem Nachwort, drei Aufsätzen, Wirkungsgeschichte und Literaturnachweisen (insel taschenbuch)
König Ödipus: Text - Erläuterungen - Materialien. Empfohlen für das 10.-13. Schuljahr

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon