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Erstes Buch.
Ueber das Wesen der Seele oder
In wiefern lässt sich sagen, dass die Seele zwischen der ungetheilten und getheilten Substanz in der Mitte steht?

In der intelligiblen Welt befindet sich die wahrhafte Wesenheit: der Geist ist das beste derselben; Seelen sind aber auch dort; von dort aus sind sie ja auch hier. Und jene Welt hat Seelen ohne Körper, diese dagegen die in Körpern befindlichen und durch die Körper getheilten. Dort ist der ganze Geist zusammen und nichts unterschiedenes und getheiltes, zusammen auch alle Seelen in dieser einigen Welt, nicht in räumlicher Geschiedenheit. Der Geist nun ist stets ununterschieden und nicht getheilt, die Seele aber bloss dort ununterschieden und ungetheilt; es liegt aber in ihrer Natur getheilt zu werden. Denn ihre Theilung ist das Sichentfernen und in den Körpertreten. Mit Recht sagt man also bei den Körpern von ihr, sie sei getheilt, weil sie sich so entfernt und getheilt ist. Wie ist sie denn aber auch ungetheilt? Sie hat sich nämlich nicht ganz entfernt, sondern ein Theil von ihr ist nicht herabgekommen, in dessen Natur es nicht lag getheilt zu werden. Die Behauptung also, dass sie aus der ungetheilten und der in Körper getheilten bestehe, kommt auf dasselbe hinaus wie wenn man sagt, sie besteht aus einer obern und untern, oder aus einer ans Jenseits geknüpften und sich bis ins Diesseits ausbreitenden, etwa wie ein Radius vom Centrum ausgeht. Hierher gekommen schaut sie aber mit dem Theile, mit dem sie auch die Natur des Ganzen behauptet. Denn selbst hier ist sie nicht nur getheilt, sondern auch ungetheilt; denn was an ihr getheilt wird, das wird auf ungetheilte Weise getheilt. Wenn sie sich nämlich in den ganzen Körper hineingegeben hat, ist sie, nicht getheilt sofern sie sich ganz in einen ganzen hineingegeben, getheilt sofern sie in jedem Theile gegenwärtig ist.[3]

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 2, Berlin 1880, S. 1,4.
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