Das ist das Haus am schwarzen Moor

[205] Das ist das Haus am schwarzen Moor!

Wer dort im letzten Winter fror,

Der friert dort nicht in diesem Jahr –

Er sank schon längst auf die Totenbahr.
[205]

Das ist das Haus am schwarzen Moor,

Das Haus, wo der alte Jan erfror.

Zur Tür gewandt das weiße Gesicht,

Starb er und wußt es selber nicht.


Er starb. – Da kam, wie ein scheues Reh,

Der Tag und hüpfte über den Schnee.

»Guten Morgen, Jan! Guten Morgen, Jan!« –

Der Jan keine Antwort geben kann.


Da erhuben die Glocken ihr hell Geläut,

Sie sangen und klangen und riefen so weit:

»Guten Morgen, Jan! Guten Morgen, Jan!« –

Der Jan keine Antwort geben kann.


Da kamen die Kinder aus der Stadt:

»Wir wissen, wie lieb er uns alle hat;

Guten Morgen, Jan! Guten Morgen, Jan!« –

Der Jan keine Antwort geben kann.


Tag, Glocken und Kinder er nicht verstund.

Da nahte die sonnige Mittagsstund,

Da nahte ein armes Weib: »Mein Jan,

Willst essen und trinken nicht, alter Mann?


Sieh, was ich brachte dir aus der Stadt;

Sollst froh nun werden und warm und satt!« –

Die Alte sah lange auf ihren Jan,

Da fing sie bitter zu weinen an.
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Da weinte sie an dem schwarzen Moor,

Am Moor, wo der alte Jan erfror;

Da weinte sie ihr brennend Weh

Hinunter in den kalten Schnee.
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Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 205-208.
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