Herr Joseph und Frau Potiphar

[240] Eine biblische Romanze

Lieblich zu lesen


Als dazumal Herr Potiphar

Im schönen Land Ägypten

Noch königlicher Kämmrer war:

Da bot man den betrübten,

Den Joseph, ihm als Sklave an

Und kam nach vielem Schwatzen

Drin überein, der fremde Mann

Sei wert ein Zwanzig Batzen.


Und Potiphar war schlau genung,

Ihn balde zu erstehen,

Denn schön war Joseph, rasch und jung

Und freundlich anzusehen.

»Du sollst«, so sprach der Kämmerling,

»In meinem Haus regieren

Ob Brot und Fleisch und ander Ding

Und mir die Wirtschaft führen.«


Und übel war's nicht, was er tat.

Es folgte aller Wegen

Dem jungen Joseph früh und spat

Nur Gottes eitler Segen.

Er war beliebt bei seinem Herrn

Wie bei der gnäd'gen Frauen,

Und wie man sagt, sie mochte gern

Den Judenjungen schauen.
[240]

Er war so frisch, er war so rot,

Er hatte schlanke Glieder.

Sie schlug, wenn guten Tag er bot,

Auch stets die Augen nieder;

Und träumrisch sah man oft sie gehn

Am schönen Nilesstrande,

Allwo die Pyramiden stehn –

Kirchtürme jener Lande.


Wenn drauf der kühle Nachttau fiel

Auf Palmen und auf Tannen

Und Vogel Strauß und Krokodil

Ihr Abendlied begannen:

Da setzte sich die Königin,

Geschmückt mit goldnen Franzen,

An ein idyllisch Plätzchen hin

Und dichtete Romanzen.


Von Liebe sang sie, das ist wahr,

Von Rosen und von Küssen,

Von schwarzen Augen, lock'gem Haar,

In glühenden Ergüssen.

Den Redakteur des Wochenblatts

Ließ morgens sie zitieren,

Der mußte den poet'schen Schatz

In Eile publizieren.
[241]

Doch wie's der Liebe wundersam

Im Leben pflegt zu gehen,

Der Joseph wollte ihren Gram

Noch immer nicht verstehen.

Von Liebe lag sein Herz so fern

Wie Rom von Flachsenfingen,

Auch wollte er den gnäd'gen Herrn

Nicht gern in Schande bringen.


Da tobte die Ägypterin,

Sie rang die weißen Hände.

Schwarz flutete ihr Haupthaar hin,

Und los um Brust und Lende

Flog wild ihr purpurnes Gewand –

So trat sie liebedürstend

Herein, wo unser Joseph stand,

Den Sonntagsrock sich bürstend.


Das Auge Glut, die Lippe Brand,

Die Wangen wie im Fieber,

Wie eine Bombe hergesandt

Aus größestem Kaliber.

Im Wonnerausch zu Füßen sank

Sie Jakobs edlem Sohne,

Und ächzend ihre Stimme klang:

»Bei Gott, du bist nicht ohne!
[242]

Sei mir gegrüßt! Ich liebe dich,

Du bräunlicher Hebräer.

O sieh mich an, sieh her und sprich:

Kann Dichter oder Seher

Ein schöner Weib im Traume sehn,

Als du zu deinen Füßen

Sich winden siehst mit brünst'gem Flehn

Um deinen Kuß, den süßen?


Sieh meine Schultern weiß und rund

Von dunklem Haar umflossen;

Sieh wie die Ros auf meinen Mund

All ihren Glanz ergossen,

Wie diese Brust sich wallend hebt,

Von Tränen sanft befeuchtet,

Wie dir mein Herz entgegenbebt,

Wie dir mein Auge leuchtet!


Mein Lied erklingt so sehnsuchtschwer

Wie Murmeln einer Quelle;

Ich eile flüchtiger daher

Als Panther und Gazelle.

Und wilder meine Küsse glühn

Als Sonn- und Wettergluten,

Wenn zischend sie herniedersprühn

Und durch die Wolken fluten.
[243]

Ich wiege dich an meiner Brust

Zu wundersamen Träumen;

Ich lasse dir zu höchster Lust

Den vollen Becher schäumen;

Und rollt dein Blut und pocht dein Herz

In immer wildern Schlägen:

Sanft will ich dann den süßen Schmerz

Mit neuen Küssen pflegen!«


So sprach Madame Potiphar

Und konnt ihn nicht erweichen.

Der Stockphilister Joseph war

Ein Esel sondergleichen.

Er schritt wohl auf die Hausvogtei

Und hat sich sehr verwundert:

Wie alsosehr verderbet sei

Sein lasterhaft Jahrhundert.
[244]

Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 240-245.
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