12. Trinklied für Freie

[237] 23. Dez. 1774.


Mit Eichenlaub den Hut bekränzt!

Wohlauf! und trinkt den Wein,

Der duftend uns entgegenglänzt!

Ihn sandte Vater Rhein!


Ist einem noch die Knechtschaft wert,

Und zittert ihm die Hand,

Zu heben Kolbe, Lanz' und Schwert,

Wenn's gilt fürs Vaterland:
[237]

Weg mit dem Schurken, weg von hier!

Er kriech' um Schranzenbrot,

Und sauf' um Fürsten sich zum Tier,

Und bub', und lästre Gott!


Und putze seinem Herrn die Schuh,

Und führe seinem Herrn

Sein Weib und seine Tochter zu;

Und trage Band und Stern!


Für uns, für uns ist diese Nacht!

Für uns der edle Trank!

Man keltert' ihn, als Frankreichs Macht

In Höchstädts Thälern sank.


Drum, Brüder, auf! den Hut bekränzt!

Und trinkt, und trinkt den Wein,

Der duftend uns entgegenglänzt!

Uns sandt' ihn Vater Rhein!


Uns rötet hohe Freiheitsglut!

Uns zittert nicht die Hand!

Wir scheuten nicht des Vaters Blut,

Geböt's das Vaterland!


Uns, uns gehöret Hermann an,

Und Tell, der Schweizerheld!

Und jeder freie deutsche Mann!

Wer hat den Sand gezählt?


Uns weckte längst der Bräutigam

Mit wildem Jammerlaut!

Des Fürsten frecher Kuppler nahm

Ihm seine junge Braut.


Uns winselte bei stiller Nacht

Der Witwe Trauerton!

Der Raubsucht und des Haders Schlacht

Erschlug ihr Mann und Sohn.
[238]

Uns ächzte, nah dem Hungertod,

Der Waise bleicher Mund!

Man nahm ihr letztes hartes Brot,

Und gab's des Fürsten Hund!


Zur Rach' erwacht! zur Rach' erwacht

Der freie deutsche Mann!

Trompet' und Trommel, ruft zur Schlacht!

Weht, Fahnen, weht voran!


Ob uns ein Meer entgegenrollt;

Hinein! sie sind entmannt,

Die Knecht'! und streiten nur um Sold,

Und nicht fürs Vaterland!


Hinein! das Meer ist uns ein Spott!

Und singt mit stolzem Klang:

»Ein' feste Burg ist unser Gott!«

Und Klopstocks Schlachtgesang!


Der Engel Gottes schwebt daher

Auf Wolken Pulverdampf,

Schaut zornig in der Feinde Heer,

Und schreckt sie aus dem Kampf!


Sie fliehn! Der Fluch der Länder fährt

Mit Blitzen, ihnen nach!

Und ihre Rücken kerbt das Schwert

Mit feiger Wunden Schmach!


Auf roten Wogen wälzt der Rhein

Die Sklavenäser fort,

Und speit sie aus, und schluckt sie ein,

Und jauchzt am Ufer fort!


Der Rebenberg am Leichenthal

Tränkt seinen Most mit Blut!

Dann trinken wir beim Freudenmahl,

Triumph! Tyrannenblut!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 237-239.
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