Achter Brief.

Fiekchen an Ernestinchen.

[57] Liebstes Ernestinchen!


Es wundert mich, daß mir nicht, ehe ich noch diesen Brief vollende, für Traurigkeit die Feder aus der Hand sinket. Ach ich bin das unglückseligste aller Mädchen; denn wisse, ich soll Knall und Fall aus dem Hause, und auf das Land zu meiner Mama Schwester in die Kost kommen, und das ist bei mir eben so viel als ins Zuchthaus; denn sie soll ärger seyn, als des Teufels großer Kettenhund.

Meiner Eltern Haus zu verlassen, wäre noch das wenigste; aber meinen Wilhelm – Mein Herz, das seither schon so manchen Stoß ausgehalten hat, wird[58] doch diesen Stoß aller Stöße unmöglich übertragen können. Ich muß dir nur die ganze Geschichte erzählen.

Du wirst dich erinnern, wie ich dir geschrieben, daß ich alle mein zugemüßenes Werkzeug unter dem großen Mehlkasten verborgen habe. Seit ich Wilhelmen zum Papaspiel abgerichtet, bedurfte ich meiner Rüben und Wurzeln nicht mehr, und ließ sie gänzlich aus der Acht. Neulich fiel es mir ein, sie hervorzuholen, und in den Abtritt zu werfen, und, siehe da! sie waren verschwunden. Da ich aber ein kirres Lämmchen auf erzogen habe; so glaubte ich, es würde der Räuber gewesen seyn, und solche gefressen haben; und schon gedacht' ich nicht daran, daß sie je wieder zum Vorschein kommen sollten.

Vor vier Tagen war mein Geburtstag. Die Mama hatte mir heimlich eine Torte machen lassen, und in einer Kammer[59] aufbewahret. An diesem Tage wurde sie, mit einer Serviett bedeckt, auf den Tisch gesetzt. Ich bekam nicht eher Erlaubnis sie abzudecken, als bis das Essen vorbei war. Kaum könnt' ich den Augenblick erwarten; aber stelle dir meinen Schrecken vor, als mir anstatt der Torte meine geschnitzte Rübenarbeit ins Auge fiel. Ich schrie für Entsetzen, und purzelte ohnmächtig vom Stuhl; aber es war dir keine Ohnmacht, sondern ich suchte nur Zeit zu einer Lüge zu gewinnen. Ich hörte Papa und Mama in der Stube herum rennen, und schreien: »ach Gott erbarme sich's!« – unsere liebe Tochter – unser einziges Kind! –

Sie rieben, und bespritzten mich; endlich schlug ich die Augen wieder auf, aber die Mama war über diesen Streich voll Zorn. Sie zieh ihn einer unserer Mägde, und der Papa examinirte sie sehr scharf. Er sagte immer: »Wehe dem, der der Jugend Ärgerniß[60] giebt.« Indessen frug er mich, warum ich vor dem Gerichte so erschrocken wäre. »Ach lieber Papa gab ich weinend zu Antwort: ich glaubte, es waren Ratten, denn ich fürchte mich ganz entsetzlich davor.« – »Du hast dich doch sonst nicht davor gefürchtet« erwiedert' er: »Es ist richtig, fiel die Mama ein: sie hat seit einiger Zeit einen natürlichen Abscheu davor« – »Ei, ei, versetzte der Papa: das Ding muß eine Bedeutung haben.« Die Mama schlug hierauf die Hände von einander, und schrie: »Daß dich doch! – das Ding! – das Ding! – Ich weiß nicht, was du mit dem Dinge willst. – Was wird das Mädchen von Dingern wissen? Höre doch auf.« Ich verdoppelte mein Weinen. »Siehst du, fuhr sie fort: wie sie weinet. Du wirst wohl machen, daß das Mädchen noch einmal ohnmächtig wird, oder gar ins Wasser springet. – Gehe Fiekchen, gehe in deine Kammer, und ruhe auf diesen Schrecken wieder aus; vergiß aber[61] nicht, das Wasser abzuschlagen.« – Ich gieng, sie trug mir meine Mandeltorte nach, und ließ mich damit allein.

Zur Torte, dacht' ich: muß auch was nasses seyn; und husch! war ich im Keller, und kaperte eine Bouteille Rheinwein, die ich unter meinem Bette versteckte.

Kurz darauf gieng Wilhelm vorbei. Ich rief ihn zu mir hinein, und er bat, und beschwor mich, daß ich doch ja nicht mehr zaubern möchte; und ob ich gleich nicht wußte, was der Narr damit wollte, so versprach ich es ihm gleichwohl, um auf wichtigere Sachen zu kommen.

Wir erneuerten das Papaspiel. Diesmal mußte Wilhelm die Mama vorstellen, und ich legte mich auf ihn. Es gieng alles nach Herzenswunsch. Wir nahmen hierauf Torte und Wein zu Leibe, und repetirten unser Spiel. Nach[62] Endigung desselben stieg ich von ihm herab; er blieb auf dem Rücken liegen, und entschlief fast in dem Augenblicke. Ich benutzte den, besaß seine ganze Feldequipage; und hatte meine innigste Freude darüber, wenn ich immer seinen Zebbadäus wie einen Kegel aufrichten wollte, und er so, wie ein gehangener Dieb, den Kopf zur Seite baumeln ließ.

Ich blieb so eine Weile sitzen, und endlich schlief ich auch neben ihm ein. Auf einmal wurd' ich durch eine bekannte Stimme ermuntert. »Du siehst du nun, wie sich das Mädchen schämet. – Ei, haben wir nicht Freude erlebet, liebes Mütterchen!« – hörte ich vor mir: und erblickte, als ich die Augen aufschlug, meine Eltern. Ich hielt wirklich noch Wilhelms Beutelchen in der einen Hand, und in der andern seine Wurzel, so wie man eine Wachtelpfeife zu halten pfleget. Er erwachte gleichfalls, und lief mit herunter hängenden Hosen in seine Kammer,[63] wo er sich, aus Furcht einer üblen Begegnung von meinem Papa mit Stühlen verpallisadirte.

Itzt gieng es weidlich über mich her. Es hieß, ich sollte gestehen, was der böse Bube mit mir gemachet hätte; oder nach Waldheim ins Zuchthaus wandern. Meine Bestien, Luder, und ungerathne Kinder steckt' ich willig ein; denn ich dachte: »Ich schüttle mich wie ein Pudel, der im Wasser war; und Alles ist weg:« – aber die Ehrentitel, die mein Wilhelm bekam, schmerzten mich.

Ich wußte wohl, daß mir nicht viel geschehen würde, und nahm deswegen alle Schuld auf mich allein. Geschwind extemporirt' ich eine Lüge, und sagte, daß Wilhelm mit einem Faden Zwirn in meine Kammer gekommen, und mich um eine Nähnadel gebeten; um sich ein Schreibebuch zusammen zu heften. Hier blieb ich stecken. – »Und[64] – fiel der Papa ein: weiter, weiter!« – Ich wußte nichts mehr zu sagen; aber just erblickt er die Weinflasche. – »Da ist ja das und, fuhr er fort; wo hast du das hergenommen?« – »O das weiß ich selber nicht; antwortete ich: glaubte aber, Sie hätten sie mir in die Kammer stellen lassen. Wilhelm half mir ihn austrinken und wir schliefen beide ein. Übrigens ist Wilhelm ganz unschuldig; denn ich habe ihm selbst die Hosen aufgeknöpft, aber blos, um zu sehen, ob er keine Verse darinn hätte: denn er trägt oft Karmina bei sich.«

»Allerliebst! verfolgte der Papa: so suchet man die Verse bei den Männern in den Hosen? – Woher du alle die Wahrheiten weißt! – Aber wie ist denn der Griffel in deine Hände gekommen?« – »Das ist mir unbegreiflich; – es muß mir ihn Jemand im Schlafe in die Hand gegeben haben, mir einen Possen zu spielen: ich glaube gewiß.« – »Du glaubest? – Das heiß ich wohl[65] recht: Einem den Glauben in die Hand geben .... Unvergleichlich! – Was wird aus diesem Kindlein werden? ... Drei Haupttugenden besitzest du schon: Stehlen, Lügen, und ... doch die dritte mag ich gar nicht nennen; ... aber wir werden uns sprechen, und du mußt mir aus dem Hause, ehe du unserer Familie eine größere Schande machest.«

Man legte ein Schloß vor meine Kammer, und ich wußte nicht, was mit mir werden würde. Gegen Abend hörte ich an der Thüre ganz leise meinen Namen. Es war Wilhelm. Der Papa hatte ihn, durch das Versprechen, daß ihm nichts geschehen sollte, weil er unschuldig sey, bewogen, aus seinem Verhaue hervor zu gehen. Er gab mir Nachricht von meiner Versendung auf das Land, versprach mir aber zugleich, es nimmermehr zuzulassen, und eher mit mir in alle Welt zu gehen.

Ich bin es vollkommen zufrieden;[66] aber wo wir ein Loch finden werden, weiß ich nicht. Doch, der Himmel wird uns in unserem Vorhaben beistehen; das ist auch meine einzige Hoffnung. Indessen mußt du mir nicht antworten, Ernestinchen, bis ich dir wieder geschrieben habe.

Dein Fiekchen.

Quelle:
Karl Timlich: Priaps Normal-Schule die Folge guter Kinderzucht. [München] [1971], S. 57-67.
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