Zwölfter Brief.

Heinrich an Wilhelm.

[95] Bester Wilhelm!


Ich bin vor einigen Wochen wegen meinem Theichen übel weggekommen. Du wirst dich erinnern, das ich ihr erlaubte, auf mein Konto täglich ein Bischen eingemachte Früchte zu naschen.

Sie ließ also keinen Tag vorbei, und war so fleißig, daß sie bald auf den kahlen Boden kam. Kurz darauf hatten wir Gäste. Die Mama ließ Schweinswildprät zurechte machen, und gedachte eingemachte Sachen dazu aufzutragen; aber wie sie darnach gieng, fand sie alles rein ausgefressen. Sie examinirte nun eine Magd nach der andern; da aber jede läugnete, mußte ich endlich auch vor. Stolz darauf,[96] meinem geliebten Theichen eine Aufopferung zu leisten, gab ich mich ganz freimüthig selbst an. Sie hatte just den Löffel, der in einem dieser leeren Töpfe liegen geblieben war, in der Hand, und kaum war ich mit dem Bekenntnis fertig, so zerschlug sie mir das Maul damit so gewaltig, daß es mir im Augenblicke wie eine Bratwurst aufschwoll. – »Da hast du einen Denkzettel, sagte sie: ein andersmal friß einen Quark.« –

Ich konnte mich nun mit meinem zerschlagenen Maul nicht an den Tisch setzen, und mußte in Theichens Gesellschaft speisen. Sie lobte mich wegen meiner Verschwiegenheit, so sehr sie nur konnte, und beleckte mir mein Bratwurstmaul mit größter Zärtlichkeit. – »Von nun an, sagte sie: soll dir der Zutritt zu meinem Innwendigen, zu meinem Herzen bei Tag und Nacht offen stehen.« –[97]

Kurz darauf mußte der Papa zu einer Inventur auf einem adelichen Schloße, und die Mama machte sich diese Gelegenheit zu Nutze, und gieng mit Herrn Fuchsewitz, den man in der ganzen Stadt unseren Hausfreund nennet, welches er aber nicht leiden will, auf den Vogelfang, nachdem sie Theichen Geld da gelaßen hatte, etwas aus dem Wirthshause für uns Kinder zu holen.

Theichen versprach mir, als sie hörte, was vorgehen sollte, alle Reiche der Welt nebst ihrer Herrlichkeit zu zeigen, sobald sie nur fort seyn würden, und hielt auch ehrlich Wort.

Wir gaben beide am Fenster Acht, ob Mama richtig gieng, und dann führte mich Theichen zu einem nahen Bette. – »So komm, sagte sie; und nimm denn auch das Inventarium über deines Mädchen Sachen.« – Nachdem sie die Kopfkissen alle an das Bettbret[98] gerichtet, und ein Paar Sessel daneben gestellet, setzte sie sich auf das Bette. Mit einer Hand hielt sie mich, und mit der andern hob sie die Röcke auf, und entblößte den Bauch; worauf sie mir die Hosen eröffnete, meinen Piphahn heraus zog, und das Hemde hinauf unter die Weste stopfte, damit es, wie sie sagte, nicht irren möchte. Itzt legte sie die beiden Füße auf die Stühle, richtete sich meinen Degen zurecht, und fiel rückwärts langsam nieder.

Eine lange Weile that ich das meine so gut ich konnte: da ich aber das Werk nicht genug verstand, erinnerte sie mich unter den Worten: »Schiebe, schiebe!« zu beßerem Fleiße, und legte mir beide Fersen ihrer Füße auf den Hintern, womit sie mich mit aller Gewalt an sich schlug. Es dauerte so eine Zeit lang; endlich wurde mir plötzlich so wunderlich, als wenn ich im Sprunge von einem hohen Thurme in der Luft flöge. Ich streckte mich zugleich[99] auf dem Mädchen aus allen Kräftn; da aber der Fußboden glatt war, rutschte ich aus, und fiel mit dem Knie auf die Kante eines unter dem Bette stehenden gefüllten Nachttopfes, den ich umgoß, daß die ganze Stube besudelt wurde.

Theichen stand auf, und brachte das Bette wieder in Ordnung; als sie aber die Nässe sah, wurde sie besorgt. Doch sie wußte bald Rath. Sie fragte mich, ob ich nicht heute, ihr zu Liebe mit einem Stücke Brod vorlieb nehmen wollte; und da sie mich geneigt fand, düng sie für das Geld, was meine Porzion gekostet hätte, ein altes Weib, und ließ sogleich den Fußboden waschen. Endlich kam die Mama wieder: und da sie das gewaschene Zimmer sah, und hörte daß es Theichen gesäubert hätte, gab sie ihr zur Belohnung ein seidenes Halstuch; auch erlaubte sie mir, in die Komödie zu gehen.[100]

Es wurde gleich damals der Deserteur aus Kindesliebe aufgeführet. Der Sohn hielt, um seinen Vater zu retten, Spitzruthen aus. Da er nun mit aufgehauenem Buckel da saß, verschnappte er sich, und sagte: – »Gott Lob, ich habe es überstanden, und mein Vater ist gerettet.« – Ich sah, wie ihm dieses Ehre machte, so, daß er sogar Offizier wurde. Wie wär' es, dacht' ich: wenn du das auf Theichen, und deine Maulschellen mit dem Löffel anwendetest? – –

Gedacht, beschlossen. Wie ich nach Hause kam, setzte ich mich hin, ließ den Kopf sinken, und wiederholte beständig die Worte: – »Gott Lob! ich habe es überstanden, und Theichen ist gerettet.« – Jedermann lachte darüber, als eine Kinderei, und Niemand wollte mich fragen, das mir recht in der Seele wehe that.

Schon hatte ich mir vorgenommen,[101] es nur noch ein einziges mal zu sagen, als mich Mama frug, was ich damit wolle. Ich gestand ihr meine Großmuth, daß ich um Theichens Näscherei willen Maulschellen ausgehalten hätte; aber ich wurde zu meinem Erstaunen nicht belohnt wie der Deserteur; sondern bekam noch zwei recht derbe Ohrfeigen für meine Lügen; Theichen wurde herbei gerufen, und ihr, nachdem sie es eingestanden, der Dienst aufgesaget. Es hieß, sie solle zum Teufel gehen. – Kaum hörte ich dies letzte Wort, so wurde ich ohnmächtig, und kam nicht eher wieder zu mir selbst, als bis mir die Mama wohl zehenmal in die Ohren geschrien hatte, daß sie Theichen behalten wolle.

Das Mädchen war deswegen einige Tage auf mich böse, und nannte mich ein altes Weib. Sie wollte mir gar keinen Acceß mehr gestatten; aber vorgestern gab ich ihr ein neues Viergroschenstück, und nun gehet Alles wieder[102] seinen alten Gang, denn das Mädchen hat das blanke Geld für sein ganzes Leben gern. Lebe wohl. Ich bin


Dein Heinrich.

Quelle:
Karl Timlich: Priaps Normal-Schule die Folge guter Kinderzucht. [München] [1971], S. 95-103.
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