Epistel, an Alma

[233] Muthwill und Spiel und Kuß stehn mir zur Seiten,

Und mit Erstaunen sehn sie, daß ich schreibe,

Sie fragen kindisch: was soll das bedeuten?

Ich sage ihnen, wie entfernt ich bleibe

Von dir noch immer, süße Braut; geleiten

Will ich dich hin, so spricht die Hoffnung, treibe

Den Scherz nur fort und andre die hier plaudern.

Ein Wink, sie gehn und dürfen nicht mehr zaudern.
[234]

Mit dir allein, allein mit meinen Thränen,

O Hoffnung, milde Trösterin, nun eile

Mit mir, es fliegt voran mein brünstig Sehnen,

O mach, daß ich im Wink die Ferne theile,

Daß ich mich nicht mehr darf verlassen wähnen!

Sie lächelt dann so still und spricht: verweile,

Nicht zu ihr sollst du fliehen, sie kehrt zurücke,

In vorger Heimath winket dir dein Glücke.


So geht sie fort, und aus dem Boden spriessen

Nur Schmerzen wo gewandelt hat ihr Fuß,

Die zarten Blüthen muß ich dann begießen

Mit Thränen, und in Seufzern strömt ihr Fluß; –

Ich denke dich, und wie sie immer fließen

Steigt vor mir auf dein Blick, dein Wink, dein Kuß,

Du wandelst auf den Schmerzen hin und wieder,

Es schwingt sich wie Musik der Bau der Glieder.
[235]

Du lächelst und vom rosenrothen Munde

Gehn Worte und ein wonnetrunkner Laut,

Du redest von der schönen einzgen Stunde

Als du geworden meiner Liebe Braut,

Als unter Freud' und Schmerz im süßen Bunde

Dein Herz dem meinigen sich ganz vertraut,

Als wir nicht wußten mehr ob Thränen, Lust,

Fest druckte Mund an Mund und Brust an Brust.


Geheimniß süß in allen Küssen webte,

Das sich so zart in unsre Lippen senkte,

Ein Liebes-Geist auf unsern Zungen strebte,

Der in dem Balsam jedes Wort ertränkte,

Was nicht als Lieb' in unsrer Seele lebte,

Was zweifelnd ja noch unsern Geist bewegte,

Das wurde nun im tiefsten Meer verlohren,

Und aus den Wogen Venus selbst gebohren.
[236]

Seitdem beherrscht Liebe nur unsre Sinne,

Von Liebe klingt in uns das rothe Blut,

So hat bezwungen uns die Kraft der Minne

Daß ewigen Triumph der trunkne Muth

Nur feiern will, daß nichts uns zum Gewinne,

Nichts unserm Herzen theuer dünkt und gut,

Was Liebe nicht, nur Liebe athmet, meinet,

Kein Leben, wenn nicht diese Sonne scheinet.


So grünen wir dann auf und wollen blühen,

Umarmung ewig tragen an den Zweigen,

Die Küsse sind die Blüthen, die dran glühen

Und ewig sich in rother Sehnsucht zeigen:

Was wird dem Baum noch sonst für seine Mühen?

Die Liebesgötter tanzen hier den Reigen,

Und Lust und Scherz die Zweige alle regt,

Die goldne Frucht vom Baum herunterschlägt.
[237]

Und Winke, Scherze, Muthwill fallen nieder,

Und Liebesworte, Küsse, wie die Aeste

Sich schütteln, flattern Klänge, süsse Lieder,

So wie die Nachtigall von ihrem Neste; –

O wann, wann kehret doch die Stunde wieder

Und bringt zurück mir all die holden Gäste? –

Du hörst wohl hier mein leeres Reimgeschwätze,

Siehst nicht wie ich das Blatt mit Thränen netze. ––

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 1, Heidelberg 1967, S. 233-238.
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