Bitte

[257] Urquell aller Seligkeiten,

Die in Strömen sich verbreiten

Durch der Schöpfungen Gebiet;

Vater, hör' mein flehend Lied!


Nicht um Güter dieser Erde,

Des erhabnern Geists Beschwerde,

Nicht um Goldstaub, der verweht;

Nicht um Ehre, die vergeht;


Nicht um Blasen, Kinderpuppen,

Um die Schlang' mit goldnen Schuppen,

Um die Weltlust komm' ich nicht,

Vater, vor dein Angesicht.


Nicht um frische Lebensfluthen,

Sie in Thränen wegzubluten;

Nicht um längres Leben fleht

Dich mein klagendes Gebet.


Nicht nach Freiheit will ich schreien.

Engel würden mir's verzeihen,

Wenn ich mit gebognem Knie

Immer Freiheit! Freiheit! schrie.


Weg mit Gütern dieser Erde!

Güter von dem höchsten Werthe,

Die der Himmel selber preist,

Solche Güter sucht mein Geist.


Schätze, welche nie verstäuben,

Tugenden, die ewig bleiben,

Thaten, eines Christen werth,

Sind es, die mein Herz begehrt.


Geber aller guten Gaben!

Festen Glauben möcht' ich haben;

Wie ein Meerfels unbewegt,

Wenn an ihn die Woge schlägt;[258]


Lieb', aus deinem Herzen stammend,

Immer rein und immer flammend,

Liebe, die dem Feind verzeiht

Und dem Freund das Leben weiht;


Hoffnung, die mit hohem Haupte,

Wenn die Welt ihr Alles raubte,

Hinblickt, wo sie wonnevoll

Alles wieder finden soll.


Hohen Muth im Kampf des Christen

Mit des Erdenstaubes Lüsten;

Sieg dem Geist! und wenn er siegt,

Demuth, die im Staub sich schmiegt;


Duldung, alle Lebensplagen

Mit Gelassenheit zu tragen;

Stilles Harren, bis der Tod

Mich erlöst auf dein Gebot;


Und dann Christenmuth im Sterben.

Wann die Lippen sich entfärben,

Einen Seufzer noch zu dir:

Jesu, nimm den Geist von mir!


Willst du Herr von meinem Leben,

Diese Seligkeit mir geben;

So wird meine Kerkernacht

Mir zum Paradies gemacht.


Immer will ich beten, ringen,

In den Banden, danken, singen;

Harren, bis es dir gefällt,

Mich zu holen aus der Welt.


Seele, gib dich nun zufrieden:

Jesus kennt und stärkt dich Müden;

Nur vergiß nie sein Gebot:

Sei getreu bis in den Tod.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 257-259.
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