24. Über Heß, den gestorbenen Maler der Alpen

[351] Wandrer! Erklimme sie nicht mehr, die Alpenhöhen – sie sind, ach!

Blutig von Frevlern entehrt, über mit Schande bedeckt:

Wandrer! Besuche nicht mehr die Alpenthale, – wo vormals

Schallete Friedensgejauchz, tönte des Hirten Schalmei,

Und der Herde Geklingel, und frommer Liebe Gesänge:

Heulet itzt Hunger und Schmerz; ächzt nur das Elend verwaist.

Unglückselige Schweiz! Dich konnte dein Genius nicht mehr

Retten, wie stark er dich liebt', weil das Verhängnis es wehrt.

Aber er wollte dich doch im Bild noch erhalten, Geliebte!

Und er begeisterte Heß: Siehe, da ward es, das Bild.

Hessens beseeleter Hand entströmten die hehren Gestalten,

Wie in das Aug' sie gestrahlt, treu, wie das Herz sie gefühlt,

Als das eidesgenössische Land in seinen Reizen noch blühte,

Als es noch unentweiht, würdig den Wandrer entzückt!

Denn des Bildenden Seele verdüsterte nichts von der schwarzen

Ahnung der Trübsal, die bald über Helvetien kam.

Wenn aus zerrißnem Gewölk er die Alpenhügel beglänzte,

Wallete wonniglich warm schlagend die biedere Brust,

Und da sah er Gesichte von paradiesischen Tagen,

Daß seines Blickes Flamm' alle Farben verklärt! –

Fremdling! in Hessens Gemälden durchwandre die Höhen und Thale,

Willst du das Schweizerland sehn, wie es noch Schweizerland war.

Und dann weine dem Bildner die Thräne der dankenden Sehnsucht;

Siehe! der Frühling bekränzt ihn nicht – bekleidet sein Grab.

Ach! Ihm schwanden die hohen Gebilde der täuschenden Hoffnung,

Und er bebte zu sehn, Schweiz, deine Schande, dein Weh,

Was der Verrat erzeugt, was mordende Raubsucht geboren; –

Sah aus der Alpenburg noch zitternde Unschuld verjagt; –

Und da wurd' es dunkel der Seele des fühlenden Künstlers,

Daß ihm der Pinsel entfiel, – brach das erschrockene Herz!

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 351-352.
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