Schwank: Eulenspiegel mit seinem heiltum

[220] Als Eulenspiegel durch vil lant

mit seiner schalkheit war bekant,

in Hessen, Türingn, Meissn und Sachsen,

am Harz, in sesteten unglachsen,

Beiern, Schwaben, Franken, Reinstrom,

in Behmen und Welschlant zu Rom,

da er sich mancher schalkheit fliß

und vil selzamer zoten riß

durch seine abgeribne tück,

oft unverschemte bubenstück,

darmit einfeltig leut beschwert,

das man seins scherz nit mer begert;

derhalb nicht mer het guten platz,

wo er hin kam mit seinem fatz.

im wurdn verboten etlich flecken;

des Eulenspiegel tet erschrecken,

als er verlor günstigen trauen,

fort nicht mer dorft all flecken bauen,

zulezt er im ein list aussan,

ein andre sach zu greifen an

zu seim betrug, und auf einmal

aus einem totenkerker stal

ein totenkopf, den er allein

mit weng silbers ließ faßen ein,[220]

sam der totnkopf ein heiltum wer.

eim pfaffen gleich sich kleidet er,

gleich eim stationierer reit

mit seinem heiltum sommerszeit

herumher in dem Pommerlant,

darin er vor war unbekant.

allda west er, wie bei sein jarn

die pfaffen seicht geleret warn,

die selten vil studieret heten,

nur schlemmerei anhenken teten,

in der biertafern war in wol,

tag unde nacht fast waren vol.

den kunt er mit seinr schalkheit kunst

balt machen einen blauen dunst,

das sie gelaubten seinen worten,

wo er hinkam an allen orten.

wo er auf ein dorfkirchweih kam,

so richt er zu sein ablaßkram

und den dorfpfaffen zu im num

und verhieß im die halben sum

von dem opfergelt gar gewiß,

das er in in die kirchen liß,

und lich im seinen chorrock an,

dem baurengsint ein predig tan

von sanct Stolprianus legent,

zeigt im sein heiltum an dem ent.

der pfaff des wol zufriden war;

denn stunt er an dem choraltar,

das bauersvolk stunt umb in runt.

wenn man zu predig leuten gunt,

so fieng denn Eulenspiegel an

sein predig von sanct Stolprian;

darmit war er gar schwint und runt

und in das heiltum zeigen gunt,

sprach: schaut, ir frauen und ir man,

das haupt vom heiling Stolprian,[221]

welches ich hab zu Rom genommen,

bin mit zu euer lieb herkommen,

das ir andechtig man und frauen

das heilig haupt auch mögt anschauen.

dem samel ich zu eim gotshaus,

darzu gebt eure steuer aus

und nemt vom liebn heilign den lon,

der wirts vergelten, wo er kon,

euch schaf, kelber, hüner und gens

bhüten, das sie kein wolf hin dens,

es sei denn er selber darbei;

des hab ich brief und sigel frei.

ir menner, steuret zu der sum,

ir seit geleich bös oder frum,

erlich, unerlich, arm odr reich,

gilt mir eur opfer als geleich.

ir weiber abr opfert allein

von gutem gelt sauber und rein

nur from junkfrauen und efrauen;

wo sich abr eine het verhauen,

wer bulrin odr ebrecherin,

derselbn opfer nem ich nit hin,

die bleib an irer stat still sten,

tu bei leib nit zu opfer gen,

ir opfer ich nit verantwortn kan

bei dem heiligen Stolprian.

als solchs hörten die beuerin,

traten sie schnell zum opfer hin;

welche schon ein ebrechrin was,

die opfert im nur dester baß,

ein mal zwei drei zu opfer gieng,

manche zug ab ein silbern ring

vom finger und den opfern tet,

wenn sie kein pfenning bei ir het,

auf das man sie nur opfern sech,

sie darnach from und erlich sprech.

derhalb wart von der weiber meng

zu dem opfer ein groß gedreng,[222]

wan welche het geopfert nicht,

die het man übel ausgericht,

sam wer sie irer er nit frum.

Eulenspiegel mit seim heiltum

alda in seinem chorrock stan

und nam die opfer alle an

von den frommen und von den bösen,

gnad und ablaß von im zu lösen.

von welcher er das opfer num,

der gab er zu küssn das heiltum,

sezt ir auch auf den totenkopf,

der klappert wie ein alter topf.

also der Eulenspiegel frum

mit seim schalkhaftigen heiltum

bracht ser vil gutes gelts zu wegen.

nach dem da sprach er in den segen

und ließ sie alle gen zu haus.

darmit war sein opferdienst aus,

darvon er sich mit got und eren

und sonst auch wie vorhin was neren

in Pommern mit seiner schalkheit.


Der beschluß

Ich glaub, wenn iezt zu unser zeit

auch Eulenspiegel zu uns kem

mit seim heiltum, das er einnem

auch opfergelts ein große sum,

darmit sich manch weib machet frum,

so sie im brecht ir opfer her,

obs gleich sonst mü und arbeit wer

mit irer ere, scham und zucht,

iedoch mit dem sie het ausflucht,

tet e ein pfenning daran wagen,

das man nichts args von ir dörft sagen,

daraus ir er folgt ungemachs;

denn wers from wie vor, spricht Hans Sachs.


Anno salutis 1563., am 12. tage Augusti.


Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Zweiter Theil: Spruchgedichte, Leipzig 1885, S. 220-223.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Spruchgedichte (Auswahl)
Meisterlieder, Spruchgedichte, Fastnachtsspiele
Spruchgedichte: Auswahl

Buchempfehlung

Reuter, Christian

L'Honnête Femme oder Die Ehrliche Frau zu Plißine

L'Honnête Femme oder Die Ehrliche Frau zu Plißine

Nachdem Christian Reuter 1694 von seiner Vermieterin auf die Straße gesetzt wird weil er die Miete nicht bezahlt hat, schreibt er eine Karikatur über den kleinbürgerlichen Lebensstil der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«, die einen Studenten vor die Tür setzt, der seine Miete nicht bezahlt.

40 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon