Die gefangen konigin aus Frankreich

[58] Im geschidnen ton Cunrad Nachtigals.


27. april 1529.


1.

Hort wie herlich beschreibe

der groß historiographus

mit namen Titus Livius

ein tat von einem weibe,

der kongin aus Frankreiche:[58]

In der flucht der Franzosen

wart gfangen durch der Römer her

die schön mit andern frauen mer,

die feinde sie einschlosen

in ein kerker zugleiche,

Ein rottmeister ir hütet,

der bulet um die kongin auserkoren;

in lieb er gen ir wütet,

an ir was all sein listikeit verloren;

als sein mutwil het kein fürgang,

er dises fremde weib notzwang

darnach er mit ir gütet.


2.

Als er sie het geschmechte,

er sie frei ledig laßen wolt,

wan man im ein pfunt klares golt

von irenwegen brechte

zu einem waßerstrome.

Ein gefangnen sie sendet

zu irem herren in das lant,

das er ir das pfunt golde sant,

darum sie wer gepfendet.

als nun die schatzung kome

Zwen französische mender

brachten das golt auf die bestimmten nachte

zum waßer die auslender;

als er auswag das golt so man ihm brachte,

die frau in irer sprach gebot,

das die zwen mender stachen tot;

den wüsten frauenschender.


3.

Sie schnit von seinem leibe

sein haubet und darmit entweich,

kam heim zu irem heren reich,

da warf das küne weibe[59]

für seine füß das haubet.

Der konig wundert lange

ob der fremd seltsamen geschicht;

die frau sprach: »diser bösewicht

gewaltig mich notzwange,

mich meiner er beraubet.«

Bei der histori sechte:

ein züchtiges biderweib nem ein lere,

ob sie ein man anfechte

und ir abdringen wolt ir weiblich ere,

ob sie den böswicht stech zu tot,

wer sie gefreit vor aller not

nach keiserlichem rechte.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 58-60.
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