Uber das Evangelium am Andern Advents Sontage

1.

Merkt auf, Ihr Menschenkinder,

Merkt auf, vergesst es nicht:

Es wird der Herr geschwinder

Erscheinen zum Gericht',

Als sonst ein Fallstrick pfleget,

Daß man auf grühner Saat

Den Vöglen hingeleget

Und wol bedekket hat.


2.

Der Herr wird wahrlich kommen

Und halten Einen Tag,

Daran das Heer der Frommen

Sich hertzlich freüen mag;

Dagegen wird erschrekken

Die Gottvergessne Schaar;

Der Richter wird aufdekken,

Waß hier verborgen war.


3.

Wie Satan ligt gebunden

Im schwartzen HöllenZelt'

Und wie die Straff' empfunden

Hat jenne Sünden Welt,

Welch' in der Fluht vergehen

Und gahr hinsinken must:

Also wird auch geschehen

Der Welt für Ihre Lust.


4.

Gott hasset Sünd und Schande,

Die Bösen kommen nicht

Zum Fried- und FreüdenStande,

Wen sein Gericht anbricht.

Hie geht es zwahr den Frommen

Zu Zeiten arm und schlecht,

Dort wird es anderst kommen:

Warum? Gott ist gerecht.


5.

Wie magst du doch so leben,

O Freches Sünden Kind,

Dich gahr der Welt zu geben?

O Blinder noch als blind!

Du sprichst: Wen wirds geschehen,

Daß Ich sol nach der Schrifft

Für jennem Richter stehen,

Der auch die Hertzen trifft?


6.

O Mensch, laß ab zu spotten:

Gott träget nur Gedult.

Er könt' Unß bald ausrotten

Und straffen alle Schuld:

Ach aber seine Gühte

Gibt Unß zur Buhsse frist;

Man schau auf Sein Gemühte,

Wie freundlich daß es ist.


7.

Immittelst sol man gläuben,

Der Tag sei für der Thür,

Der Uns die Welt wird rauben,

So bald Er bricht herfür;

Doch sollen Mohnd und Sterne

Noch erstlich ihren Schein

Verlieren, Ja von ferne

Fast nicht zu kennen sein.


8.

Ach Gott! daß hier so lange

Die Trübsahl wehren muß!

Den Leüten wird sehr bange,

Sie leben mit Verdruß.

Krieg, Auffruhr, Theürung, Sterben

Neid, Unfried', Angst und Noht,

Die häuffen das Verderben:

Wer wünschet nicht den Tod?


9.

Hört, wie die Winde sausen,

Wie Sich die Erd' erregt,

Wie Meer und Wasser brausen,

Wie Sich die Lufft bewegt.

Des Menschen Sohn wird kommen

Gleich alß ein Dieb bei Nacht.

Wol dem, der wol genommen

Hat seine Zeit in acht.


10.

Der Richter wird erscheinen

In grosser Majestat,

Dem keiner kan verneinen,

Was Er begangen hat.

Ein Frommer sol Sich freüen,

Daß Christus richten wird;

Ein Böser muß Sich scheüen,

Weil Er so grob geirt.
[254]

11.

Wen Wir nun werden sehen

Mit grosser Herrligkeit

Ihn in den Wolken stehen,

So wird der Frommen Leid

Im Augenblik verschwinden,

Dagegen wird daß Licht

Und Leben bald Sich finden

Für Gottes Angesicht.


12.

Frisch auf den, Meine Seele!

Wird gleich dein Leib gebracht

In seine finstre Höhle,

Wie bald vergeht die Nacht,

So wird dein Jesus kommen

Und ruffen: Geh' heraus,

Den werd' Ich aufgenommen

Von Ihm' ins Freüdenhauß.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 252-255.
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