Nachtmahlgesang

[212] O großes Werk, geheimnisvol,

Das höchlich zu verehren;

O Werk, das stündlich in uns sol

Durch seine Kraft vermehren

Bereuung unser schweren Schuld,

Furcht, Glauben, Hoffnung und Gedult,

Zucht, Lieb' und aller Tugend Zahl,

O Himmelssal,

O hochgepries'nes Abendmal!

Hier ist des Lebens Baum gesetzt,

Desselben Blätter heilen

Was durch den Satan war verletzt

Mit so viel Sündenpfeilen;

Hier ist das Holz ganz voller Saft,

Von Früchten süß, sehr groß von Kraft,

Ja dessen edle Lieblichkeit

Zur jeden Zeit

Vertreibt des Todes Bitterkeit.[212]

Hie ligt das rechte Himmelsbrot,

Von Gott uns selbst gegeben,

Das für den wolverdienten Tod

Uns wiederbringt das Leben;

Dieß ist der Christen Unterhalt,

Dieß macht die Seelen wolgestalt,

Dieß ist der Engel Speis' und Trank,

Dafür ich Dank

Gott singen wil mein Leben lang.

Hie steht die rechte Bundeslad'

Hier ist der Leib des Herren,

Vol Weisheit, Güt' und großer Gnad',

Hie schau ich, gleich von ferren,

Die wunderschöne Himmelsschul',

Den Tempel samt dem Gnadenstul',

Hie find' ich ja das höchste Gut,

Das theure Blut,

So mir erquicket Seel' und Mut.

Hier ist die schönste Himmelspfort',

Hie steht der Engel Leiter,

Israels auserwählter Ort

Und seiner Lust Bereiter;

Hie steigen wir mit vollem Lauf

In Christo stracks zum Himmel auf,

Der uns durch ihn ist zuerkant.

O herlichs Pfand,

O allerliebstes Vaterland!

Ach schauet, wie der Herr uns liebt,

Wie hoch er uns verehret,

Indem er sich uns selber gibt

Und freundlich uns zukehret.

Bedenket, wie er uns gemacht

Zu Bürgern seiner großen Pracht,

Ja, wie er unser Fleisch ergetzt,

Das er zuletzt

Zu seiner Rechten hat gesetzt.[213]

Das Fleisch, das nun erhöhet ist,

In Gottes Statt zu leben,

Das wird uns hie zu dieser Frist

Durch Christum selbst gegeben;

So wird sein Wesen uns zu Theil,

So finden wir der Seelen Heil,

So bleiben wir in Gottes Huld,

Und unser Schuld

Wird übersehen mit Gedult.

Wie kan uns der zuwider sein,

Der uns so freundlich reichet

Sein Fleisch und Blut im Brot und Wein,

Der nimmer von uns weichet?

Wie kan uns lassen aus der Acht

Der uns so trefflich hat bedacht,

Indem er unser Missethat,

O kluger Rat,

Durch seinen Tod getilget hat?

Wie kan hinfort des Satans Stärk'

Uns Christen überwinden,

Dieweil durch dieses Gnadenwerk

Wir große Kraft empfinden?

Hat doch dieß Mal uns so erquickt,

Daß uns kein Feind mehr unterdrückt,

Drum, Satan, kome nur zum Streit,

Wir sind bereit,

Zu spotten deiner Grausamkeit.

Was achten wir des Leibes Not,

Der kranken Glieder Schmerzen?

Hier ist Arznei für alle Not,

Ein edler Trank zum Herzen;

Ja, Christus Fleisch ist solcher Art,

Da alles durch geheilet ward;

Hier ist sein Seitenwasser feil,

Dadurch in Eil'

Wird stumpf gemacht der Höllenpfeil.[214]

O Gottes Fleisch, o heiligs Blut,

Das auch die Engel ehren!

O Himmelspeis', o höchstes Gut,

Wozu sich fleißig kehren

Die Kräft' und Thronen Wunders vol,

Herr, meiner Seelen ist so wol,

Es trifft sie schon in dieser Qual

Ein Freudenstral.

O hochgepriesnes Abendmal.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 212-215.
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