Absaloms Abfall

[568] Sie hoben sie mit Geblitz:

der Sturm aus den Hörnern schwellte

seidene, breitgewellte

Fahnen. Der herrlich Erhellte

nahm im hochoffenen Zelte,

das jauchzendes Volk umstellte,

zehn Frauen in Besitz,


die (gewohnt an des alternden Fürsten

sparsame Nacht und Tat)

unter seinem Dürsten

wogten wie Sommersaat.


Dann trat er heraus zum Rate.

wie vermindert um nichts,

und jeder, der ihm nahte,

erblindete seines Lichts.


So zog er auch den Heeren

voran wie ein Stern dem Jahr;

über allen Speeren

wehte sein warmes Haar,

das der Helm nicht faßte,

und das er manchmal haßte,

weil es schwerer war

als seine reichsten Kleider.
[569]

Der König hatte geboten,

daß man den Schönen schone.

Doch man sah ihn ohne

Helm an den bedrohten

Orten die ärgsten Knoten

zu roten Stücken von Toten

auseinanderhaun.

Dann wußte lange keiner

von ihm, bis plötzlich einer

schrie: Er hängt dort hinten

an den Terebinthen

mit hochgezogenen Braun.


Das war genug des Winks.

Joab, wie ein Jäger,

erspähte das Haar –: ein schräger

gedrehter Ast: da hings.

Er durchrannte den schlanken Kläger,

und seine Waffenträger

durchbohrten ihn rechts und links.


Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 568-570.
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