Die Gründung Karthagos

[18] 1832.


Vor der Goldbegier des Bruders,

Der nach ihren Schätzen schnaubt,

Der in ihres Gatten Busen

Sein verruchtes Schwert getaucht,

Flieht hinweg die schöne Dido

Aus sidonischen Heimataun,

Nimmt mit sich gehäufte Schätze,

Nimmt mit sich des Gatten Staub,[18]

Dem gelobt sie stäte Treue,

Wie es ziemt den höchsten Fraun;

Denn der wahren Witwe Liebe

Gleicht dem Lieben einer Braut.

Edle folgen ihr und Knechte,

Als sie löst den Ankertau,

Segeln auf den hohen Schiffen

Durch das tiefe Wogenblau,

Bis an afrikanischer Küste

Landen alle voll Vertraun.

Dido läßt an sichrer Felsbucht

Mächtig eine Stadt erbaun:

Axt an Axt erklingt am Ufer,

Stein um Stein wird ausgehaun.

Bald beschirmen stolze Mauern

Tempel, Hafen, Hütt und Haus;

Drauf als Königin beherrschte

Dido diesen stolzen Raum.

Doch der Ruf von ihrer Schönheit

Breitet seine Flügel aus:

König Jarbas wohnt benachbart,

Tapferer Männer Oberhaupt;

Dieser bietet seine Hand ihr,

Ja die Drohung macht er laut:

Wenn die Königin sich weigert

Meiner Kraft sich anzutraun,

Wehe jener Stadt, sie möchte

Dann verschwinden wie ein Traum!

Zitternd hört es ganz Karthago,

Weil er mächtig überaus,

Und des Volks ergraute Väter

Treten vor der Fürstin auf,

Flehn sie, jenen Bund zu schließen,

Hinzugeben nicht dem Raub

Diese Laren, diese Tempel,

Die sie liebend selbst gebaut!

Aber ihr im tiefen Busen

Steigt ein böser Geist herauf,

Ob sie freveln soll am Gatten,

Ob sie, jeder Bitte taub,

Freveln soll an ihrem Volke,

Das an ihre Liebe Glaubt?[19]

Doch in einer solchen Seele

Ist ein Zweifel wie ein Hauch:

Nur das Große kann sie denken,

Nur das Große führt sie aus.

Einen Holzstoß, wie zum Opfer,

Läßt die Königin erbaun,

Läßt um ihn das Volk versammeln,

Tritt hervor und steigt hinauf:

Lebe wohl, o mein Karthago,

Nicht die Feinde sollst du schaun,

Blühn empor in goldner Freiheit,

Nicht vergehn in Schutt und Graus:

O Sichäus, breite deine

Schattenarme nach mir aus!

Diese hohen Worte sprechend

Faßt ein Schwert sie ohne Graun,

Stößt es durch den schönsten Busen,

Den die Sonne durfte schaun.

Und im Aschenkrug gesammelt

Ward sofort der edle Staub,

Ward im Tempel selbst bestattet,

Ward bekränzt mit Siegeslaub.

König Jarbas zog von dannen,

Störte nicht Karthagos Bau:

Jenen seegewaltigen Freistaat

Gründete so die größte Frau.


Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 18-20.
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