Odoard und Isabelle

[48] Im Land der Allobrogen

Lebt Fräulein Isabell:

Sie schoß mit Pfeil und Bogen

So gut als Wilhelm Tell:

War jung und schön, doch spröde

Und kalt für Lieb und Scherz;

Auch gieng im Land die Rede,

Sie hab ein stählern Herz.


Ein Held aus den Cevennen,

Mit Namen Odoard,

Bey einem Ringelrennen

Von ihr entzündet ward.

Er girrt ihr seine Plage

Bey Nacht und Tage vor:

Umsonst! des Buhlen Klage

Schallt in ein taubes Ohr.


Er bringt ihr Papagoyen,

Gekauft in Trapezunt:

Er holt ihr aus Savoyen

Den besten Wachtelhund:[49]

Er sendet ihr ein Füllen

Mit einem Reigerstrauß;

Doch nichts beugt ihren Willen;

Sie schlägt die Gaben aus.


Als nach dem Wettgefechte

Sie ihm den Preis gereicht,

Ergriff er ihre Rechte

Und seufzte tief erweicht:

Ach, lindre meine Schmerzen

Auch nur mit einem Blick.

Allein mit stolzem Herzen

Zog sie die Hand zurück.


Fahr hin! rief er, mit Zähren

Wirst du den Trotz bereun;

Doch dann werd ich nicht hören,

Nicht fühlen deine Pein.

Sie lacht der eiteln Worte,

Und Odoard entflieht,

An einem öden Orte

Zu weinen. Was geschieht?


Einst ritt auf ihrer Schecke

Die Jägerin durchs Holz;

Da kam aus dunkler Hecke

Ein Bär mit ernstem Stolz[50]

Stracks auf sie los. In Eile

Faßt sich das kühne Weib,

Und schießt mit einem Pfeile

Das Unthier durch den Leib.


Schnell, wie der Flug des Barden,

Rennt sie zum todten Wild,

Und findet Odoarden

In Bärenhaut verhüllt.

Er konnte nicht mehr sprechen,

Sein Auge deckt ein Flor,

Doch warfs ihr noch im Brechen

Ihr Unrecht zärtlich vor.


Mit grauenvollem Harme

Stürzt sich die Magd auf ihn,

Und faßt ihn in die Arme;

Umsonst! er war dahin.

Sie heult, sie stöhnt, sie klaget,

Sie rauft das Haar sich aus,

Springt auf ihr Pferd und jaget,

Blaß wie der Tod, nach Haus.


Entblöst an Haupt und Fuße

Führt sie die Klerisey

Mit Chorhemd und Capuse,

Panier und Kreuz herbey.[51]

Die Leiche wird mit Schelle

Und Sang dem Grund vertraut,

Und eine düstre Zelle

Hart an die Gruft gebaut.


Hier sagt die strenge Schöne

Der Welt auf ewig ab;

Weint täglich eine Thräne

Auf ihres Buhlen Grab;

Und als sie nach zwölf Wochen

Vom Gram verzehret ward,

Begrub man ihre Knochen

Zum Staub des Odoard.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 2, Tübingen 1802, S. 48-52.
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