[10] An Serena.
Des großen Zoroasters Ruhm
War durch ganz Orient verbreitet.
Von Oromaz ins Heiligthum
Der himmlischen Magie geleitet,
Trat er auf Hermes lichte Spur
Und fand der plastischen Natur
Geheime Werkstatt aufgeriegelt,
Und las mit eines Sehers Blick
Der Nachwelt mystisches Geschick
In der Gestirne Lauf entsiegelt.
Von Vorwitz und von Muth beflügelt,
Kam einst ein Prinz vom Indusstrand
Nach Persien, die Wunderlehren
Des Philosophen anzuhören.
Er trat an seines Führers Hand
Mit raschen Schritten auf die Brücke
Des Geisterreichs. Die Scheidewand
Der Körperwelt zog sich zurücke,
Und manches neue Sylphenland
Lag aufgedeckt vor seinem Blicke.
Erfahrung macht den Schüler kühn;[11]
Er wollte stets noch höher steigen
Und bat im Heldentaumel ihn,
Das Bild des Todes ihm zu zeigen.
Der Weise ziehet einen Kreis
Und schlägt mit seinem goldnen Stecken
Dreymal den Grund. Auf sein Geheiß
Erscheinet der Monarch der Schrecken.
Gott! rief der Prinz in kalten Schweiß
Getaucht, was seh ich? laß mich fliehen!
Ha! welch ein scheußliches Phantom,
Aus dessen Auge, wie ein Strom,
Des Orkus rothe Blitze sprühen!
Mit Schlangen ist sein Haupt geschmückt
Und – seine Faust, o laß mich fliehen!
Hält einen Dolch auf mich gezückt.
Mein Sohn, versetzt der graue Weise
Und nahet lächelnd sich dem Kreise,
Ich sehe die Harpye nicht,
Vor welcher deine Seele bebet;
Ein Engel ists, der vor mir schwebet,
Gehüllt in heitres Sonnenlicht:
Sein Scheitel ist mit Mohn umkränzet,
Und wie ein Demantzepter glänzet
In seiner ausgestreckten Hand
Der Schlüssel zu der Himmelspforte.[12]
Itzt sprach er drey geheime Worte
Und das erhabne Bild verschwand.
Der Jüngling weint am Hals des Alten:
Du siehst, fuhr dieser fort, mein Sohn,
Der Tod ist ein Chamäleon,
Er borget immer die Gestalten
Der Seelen, denen er sich weist.
Und so, Geliebte, wird dein Geist
In ihm der Tugend Bild erblicken,
Das ich mit täuschendem Entzücken
Schon oft statt deines Bilds gegrüßt.
Entferne, Gott, die große Scene,
Bis mich ein Aschenkrug verschließt,
Und meiner Freundin stille Thräne
Auf meinen Staub geflossen ist.
Ausgewählte Ausgaben von
Fabeln und Erzählungen
|
Buchempfehlung
In die Zeit zwischen dem ersten März 1815, als Napoleon aus Elba zurückkehrt, und der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni desselben Jahres konzentriert Grabbe das komplexe Wechselspiel zwischen Umbruch und Wiederherstellung, zwischen historischen Bedingungen und Konsequenzen. »Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als wäre sie ein ausgelesenes Buch.« C.D.G.
138 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro