10. An eine Jungfrau

[13] Und du wirst auch bey meiner Buhlschafft stehen,

O Delia, du Bildnuß aller Ziehr;

Ich wil auch dich durch meine Verß' erhöhen?

Ich wil dein Lob erweitern für und für.

Sey nicht erzürnt, Asterie, mein Leben,

Weil ich anjetzt so sehr weit von dir bin,

Daß ich mich hab' in andre Huld ergeben,

Und frembde Gunst mir kommen in den Sinn.

Ich habe dich in ihren Augen funden;

Dein Angesicht und rosenrother Mund,

Dein schönes Haar ist so in ihr verbunden,

Daß ich sie nicht für dir erkennen kundt'.

Ich fandt in ihr, was ich bey dir verlassen;

Ich fand in ihr dich so gebildet ein,[13]

Daß ich vermeyn', ich könne sie nicht hassen;

Ich müsse denn auch dir zuwider seyn.

O Delia, du Spiegel meiner Freuden,

Du Ebenbild der Schönsten in der Welt,

Vergönne doch, daß sich mein' Augen weiden,

Weil deine Ziehr mein Leben in sich helt;

Weil ihr Gesicht' ist so in dich geschrieben,

Daß sie ihr selbst nicht ähnlicher seyn kan,

Wie wol' ich dich, mein' Augenlust, nicht lieben?

Ach, nimb mich doch von ihrentwegen an.

So wil ich auch mit steten Versen ehren

Dein' hohe Ziehr und edlen Augenschein.

So lange man von Liebe nur wird hören,

Wird man zugleich' auch deiner inndenck seyn.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 13-14.
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