3. Der 32. Psalm


Auff die Weise deß 9.

[168] Ich wil dich, Herr, von Hertzen Grund.


O wol dem, der die Uebelthat

Nicht mehr auff sich zu tragen hat,

Dem seine Laster, sind verdecket,

Darein er sich zuvor gestecket.


O selig dem, der Gottes Huld

Nicht zuschreibt seiner Fehler Schuld,

Bey welchem kein Betrug zu finden,

Dardurch er bergen wil die Sünden!


Da als ich wolte sicher gehn,

Und mein Verbrechen nicht gestehn,

Geschwand ich gantz an Marck und Beinen

Für stätem Heulen und für Weinen.


Dann deiner Hand ergrimmte Macht

Lag auff mir Armen Tag und Nacht;

Es ist mir alle Krafft zerronnen,

Wie Graß dorrt von der Sommersonnen.


Da aber ich umb Gnade bat,

Erzehlte meine Missethat

Und sprach: O Herr, ich beichte lieber,

Da liessestu die Schuld vorüber.


Darumb das Volck der Heiligkeit

Dir ruffen sol zu rechter Zeit,

So wird kein Strom nicht zu ihm fliessen,

Wann alle Fluten sich ergiessen.


Du bist mein Schirm, beschütze mich;

Treib Angst und Schmertzen hinter sich,

Daß ich mit süssem Lobgesange

Auff die Erlösung frölich prange.


Ich wil dein Lehrer seyn, sprichstu,

Den Weg dir weisen richtig zu,

Dich, wo du wandelst, aller Seiten

Mit meiner Augen Klarheit leiten.


Nicht seyt ein Maulthier oder Pferd,

Das nichts versteht und nichts begehrt

Und dem der Zaum den Mund muß zwingen,

Wann du es wilt zum Lauffe bringen.
[169]

Also auch wird ein böser Mann

Durch Straffen in die Zucht gethan;

Wer nach dem Herren trägt Verlangen,

Wird Glimpff und Gütigkeit empfangen.


Ihr, die ihr liebt Gerechtigkeit,

Und sauber von Gemüthe seyt,

Freut euch im Herren, singt und ehret

Den, dessen Huld euch singen lehret.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 168-170.
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