Vierzehnter Auftritt.

[65] Argan. Beralde. Toinette als Arzt.


TOINETTE. Mein Herr, ich bitte nochmals tausendmal um Vergebung.

ARGAN leise zu Beralde. Es ist zum Erstaunen!

TOINETTE. Ihr werdet es hoffentlich nicht für ungut nehmen, daß ich neugierig war, einen so berühmten Kranken wie Ihr kennenzulernen; und Euer weitverbreiteter Ruf möge die Freiheit entschuldigen, die ich mir genommen habe.

ARGAN. Mein Herr, ich bin Euer Diener.

TOINETTE. Ich sehe, mein Herr, daß Ihr mich scharf ins Auge faßt. Wie alt meint Ihr wohl, daß ich sei?

ARGAN. Ich sollte meinen, Ihr könntet höchstens sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig Jahr alt sein.

TOINETTE. Hahahahaha! – Neunzig Jahr bin ich alt.

ARGAN. Neunzig?

TOINETTE. Ja. Das ist die Wirkung der Geheimnisse meiner Kunst, mich so frisch und kräftig zu erhalten.

ARGAN. Auf Ehre, das nenne ich einen hübschen jungen Greis für neunzig Jahre!

TOINETTE. Ich bin ein reisender Arzt, der von Stadt zu Stadt, von Provinz zu Provinz, von einem Königreich ins andere zieht, um Patienten aufzusuchen, die meiner Sorgfalt würdig sind, und an denen es der Mühe wert ist, die großen und schönen Geheimnisse zu verwenden, die ich in der Arzneikunst entdeckt habe. Ich verschmähe es, mich mit dem kleinen Gesindel der alltäglichen Zufälle zu befassen, mit dem winzigen Geschmeiß von Rheumatismen und Flüssen, mit kleinen Fieberchen, Nervenleiden[65] und Kopfschmerzen. Ich will nachhaltige, solide Krankheiten; schwere, gut anhaltende Fieber mit Gehirnentzündungen; gute Scharlachfieber, gute Pesten, gute ausgebildete Wassersuchten, gutes Seitenstechen mit Brustinflammationen, das ist mein Element, in dem ich mich wohl fühle, da finde ich meine Triumphe, und ich wünschte, mein Herr, Ihr hättet alle die Krankheiten, die ich eben nannte, Ihr wäret von allen Ärzten aufgegeben und lägt ohne Hoffnung in den letzten Zügen, um Euch die Vortrefflichkeit meiner Mittel zu beweisen und Euch zu zeigen, wie gern ich Euch zu Dienst stehen möchte.

ARGAN. Ich danke Euch, mein Herr, für Eure große Güte.

TOINETTE. Gebt mir doch ein wenig Euern Puls. – Höre, daß du mir schlägst, wie sich's gehört; warte nur, ich will dir schon beibringen, daß du mir gehst, wie du sollst. Ei Sapperment, der Puls da macht sich sehr unnütz; ich sehe schon, mein Freund, du kennst mich noch nicht. – Wer ist denn Euer Arzt?

ARGAN. Herr Purgon.

TOINETTE. Der Name steht nicht in meinem Notizbuch unter den großen Ärzten eingetragen. Woran, sagt er denn, daß Ihr krank wäret?

ARGAN. Er sagt mir, es sei ein Leberleiden; andere sprechen, es käme aus der Milz.

TOINETTE. Dummes Zeug! – An der Lunge seid Ihr krank.

ARGAN. An der Lunge?

TOINETTE. Ja. Was fühlt Ihr?

ARGAN. Ich fühle von Zeit zu Zeit Kopfschmerzen.

TOINETTE. Ganz recht, die Lunge.

ARGAN. Mir ist mitunter, als hätte ich einen Flor vor den Augen.

TOINETTE. Die Lunge.

ARGAN. Zuweilen wird mir übel.

TOINETTE. Die Lunge.

ARGAN. Ich fühle mitunter eine Müdigkeit in allen Gliedern.

TOINETTE. Die Lunge.

ARGAN. Und zuweilen sticht mir's im Leibe, als hätte ich die Kolik.

TOINETTE. Die Lunge. – Ihr habt Appetit, wenn Ihr eßt?[66]

ARGAN. Ja, Herr Doktor.

TOINETTE. Die Lunge. Ihr trinkt gern ein wenig Wein?

ARGAN. Ja, Herr Doktor.

TOINETTE. Die Lunge. Nach Tisch habt Ihr eine kleine Anwandlung von Müdigkeit und wollt gern schlafen?

ARGAN. Ja, Herr Doktor.

TOINETTE. Alles die Lunge, sage ich; alles die Lunge. Was für eine Diät verordnet Euch denn Euer Arzt?

ARGAN. Er verordnet Suppe mit Brotschnitten –

TOINETTE. Ignorant!

ARGAN. Geflügel –

TOINETTE. Ignorant!

ARGAN. Kalbfleisch –

TOINETTE. Ignorant!

ARGAN. Fleischbrühe –

TOINETTE. Ignorant!

ARGAN. Frische Eier –

TOINETTE. Ignorant!

ARGAN. Abends gekochte Prünellen, um den Leib frei zu erhalten –

TOINETTE. Ignorant!

ARGAN. Und vor allen Dingen viel Wasser in meinem Wein.

TOINETTE. Ignorantus, ignoranta, ignorantum. Ihr müßt Euren Wein ohne Wasser trinken; und um Euer Blut zu heben – denn Ihr habt viel zu wenig Blut – müßt Ihr gutes derbes Rindfleisch essen – gutes derbes Schweinefleisch – guten holländischen Käse, Grütze und Reis, Kastanien und Oblaten essen, kurz etwas, was da klebt und zusammenkleistert. Euer Arzt ist ein Dummkopf; ich will Euch einen von meinen jungen Leuten schicken und werde von Zeit zu Zeit bei Euch vorsprechen, solange ich mich hier aufhalte.

ARGAN. Ich werde Euch sehr verbunden sein.

TOINETTE. Was zum Henker macht Ihr eigentlich mit diesem Arm da?

ARGAN. Wie meint Ihr?

TOINETTE. Wenn ich wäre wie Ihr, den Arm ließe ich mir auf der Stelle abnehmen.

ARGAN. Und warum?

TOINETTE. Seht Ihr denn nicht, daß er alle Nahrung an sich zieht und die andere Seite hindert, zuzunehmen?[67]

ARGAN. Ja, ich kann aber doch meinen Arm nicht missen!

TOINETTE. Ihr habt da auch ein rechtes Auge; das müßte mir heraus, wenn ich an Eurer Stelle wäre.

ARGAN. Ich sollte ein Auge hergeben?

TOINETTE. Seht Ihr denn nicht, daß es dem andern Abbruch tut und ihm seine Nahrung raubt? – Glaubt mir, laßt es Euch je eher je lieber ausstechen; Ihr werdet um so viel besser mit dem linken sehen.

ARGAN. Nun, das eilt wenigstens nicht.

TOINETTE. Lebt wohl. Es tut mir leid, Euch so bald zu verlassen; aber ich werde bei einer großen Konsultation erwartet, die wir wegen eines Kranken halten, der gestern gestorben ist?

ARGAN. Wegen eines Kranken, der gestern gestorben ist?

TOINETTE. Ja, um sich darüber einig zu werden und ausfindig zu machen, was hätte geschehen müssen, um ihn herzustellen. Auf Wiedersehen.

ARGAN. Ihr wißt, daß die Kranken das Geleit nicht geben.


Quelle:
Molière: Der eingebildete Kranke. Leipzig 1945, S. 65-68.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der eingebildete Kranke
Der eingebildete Kranke
Le Malade imaginaire /Der eingebildete Kranke: Franz. /Dt.
Der eingebildete Kranke /Die Gaunereien des Scappino: Zwei Komödien
Der eingebildete Kranke (Suhrkamp BasisBibliothek)
Der Menschenfeind; Der eingebildete Kranke

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Traumnovelle

Traumnovelle

Die vordergründig glückliche Ehe von Albertine und Fridolin verbirgt die ungestillten erotischen Begierden der beiden Partner, die sich in nächtlichen Eskapaden entladen. Schnitzlers Ergriffenheit von der Triebnatur des Menschen begleitet ihn seit seiner frühen Bekanntschaft mit Sigmund Freud, dessen Lehre er in seinem Werk literarisch spiegelt. Die Traumnovelle wurde 1999 unter dem Titel »Eyes Wide Shut« von Stanley Kubrick verfilmt.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon