An Daphnens Klavier

[231] 1773.


Wenn der lauten Stadt Getümmel

Nun allmählich leiser hallt,

Und vom rotbeströmten Himmel

Dämmerung hernieder wallt;

Dann, o silbernes Klavier,

Wandelt Daphne hin zu dir!


Heiter, auch von Nacht umgeben,

Schwingt sich ihre Seel' empor;

Engelreine Thaten schweben

Ihr in goldnen Bildern vor.

Ruhig ist ihr Aug', und lacht,

Wie der Mond in stiller Nacht.


Und ein Strom von Harmonieen,

Ihres Lebens Wiederhall,

Geußt, in süßen Melodieen,

Sich in deinen Silberschall;

Ihre ganze Seele glüht,

Und sie singt ein deutsches Lied.


O des neideswerten Lohnes,

Ihre Seele zu erfreun!

Schöpfer ihres Silbertones,

Ihrer Seligkeit zu sein!

Himmel, Himmel! o Klavier!

Ach, sie singt ein Lied von mir!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 231-232.
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