Lied der Liebe

[233] Durch Fichten am Hügel, durch Erlen am Bach,

Folgt immer dein Bildniß, du Traute! mir nach.

Es lächelt bald Wehmuth, es lächelt bald Ruh',

Im freundlichen Schimmer des Mondes, mir zu.


Den Rosengesträuchen des Gartens entwallt

Im Glanze der Frühe die holde Gestalt;

Sie schwebt aus der Berge bepurpurtem Flor

Gleich einem elysischen Schatten hervor.


Oft hab' ich, im Traum, als die schönste der Feen,

Auf goldenem Throne dich stralen gesehn;

Oft hab' ich, zum hohen Olympus entzückt,

Als Hebe dich unter den Göttern erblickt.


Mir hallt aus den Tiefen, mir hallt von den Höhn,

Dein himmlischer Name wie Sphärengetön.

Ich wähne den Hauch der die Blüthen umwebt

Von deiner melodischen Stimme durchbebt.


In heiliger Mitternachtstunde durchkreist

Des Aethers Gefilde mein ahndender Geist.

Geliebte! dort winkt uns ein Land, wo der Freund

Auf ewig der Freundin sich wieder vereint.


Die Freude sie schwindet, es dauert kein Leid;

Die Jahre verrauschen im Strome der Zeit;

Die Sonne wird sterben, die Erde vergehn:

Doch Liebe muß ewig und ewig bestehn.

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 233-234.
Lizenz:
Kategorien: