Nacht im Schwarzwald

[46] Von schwarzen Bergwaldwipfeln überdacht,

im tiefen Pelz des Schnees fest zugedeckt,

gleichmäßig atmend ruht die Nacht.

Der Wasserfälle dunkles, stetes Rauschen

scheint Grüße mit dem Firmament zu tauschen.

Kein Laut sonst, der die Einsamkeit erschreckt.

Hier ist kein Kampf; hier ist des Friedens Schweigen ...

Mild glänzend durch den nächtigen Dämmer bricht

aus schwarzen, leicht beflockten Tannenzweigen

weihnachtlich eines fernen Häuschens Licht.

Dort wachen Menschen. – Sei's, daß eines Bauern

bigotte Sippschaft löffle ihren Brei,

daß es die Hütte eines Holzknechts sei;

mag weltscheu dort ein keuscher Beter kauern –

und hätte selbst zu tausend Märchenwonnen

ein Liebespaar sich hinterm Schnee versponnen:

Lug ist die Weltflucht, Lug der Friedensdom.

Aus mildem Lichte flackern Sklavenkräfte;

im lauten Tal wirkt Arbeitsschweiß den Strom,

den leuchtenden, aus donnernden Maschinen.

Der Eremit, das Liebespaar – auch ihnen

folgt, aller Andachtseinsamkeit zum Hohn,

auf ihre Höh'n die Fratze der Geschäfte,

der Not, des Unrechts und der Menschenfron ...

Ihr flüchtet, Narren, nicht in Nacht und Schnee

aus Elendswüsten, wo der Hunger keucht.

Der Lampenbirne freundliches Geleucht

verbindet euch mit allem Menschheitsweh. –

Helft von der Not der Arbeit Last befrei'n!

Wenn dann ein stilles Licht im Bergwald brennt,

dann wird es hell in euerm Tempel sein.

Das Menschenwerk, das freie Hände schufen,

wird, wie der Wasserfall zum Firmament,

zu euern Höh'n den Gruß der Täler rufen.


Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 46-47.
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