Das Trinklied

[11] Stimmt eure Seelen zu festlichen Klängen,

füllt eure Herzen mit jauchzendem Wein! –

Denn die Jahre der Jugend drängen,

und das Alter bricht polternd herein. –

Noch strahlen uns Sonnen, noch blinken uns Gläser –

noch lachen uns Lippen und Brüste heiß –

noch blühen die Blumen, noch grünen die Gräser –

aber eilt euch: was rot ist wird weiß!


Rasch ziehen vorüber die glücklichen Stunden. –

Hält uns nicht die Jugend – wir halten sie nicht!

Wehrt euch der Würde! – Der ist überwunden,

den fromme Sitten plagen und Pflicht!

Nieder mit dem, den Sorgen bedrücken –

denn der weiß nicht, was Leben heißt:

Lebend genießen, lebend beglücken –

aufs Leben trinken, bis es zerreißt!


Trinken! Trinken! Auf Leben und Sterben!

Leben! Leben! Auf Blut und Kuß!

Leert den Pokal, dann keilt ihn in Scherben!

Lebt euer Leben – und dann ein Schuß!

Trinken ist Leben, und Leben ist Trinken!

Nieder der Schwächling, der trunken fällt![11]

Wein her! – Wir wollen im Leben versinken!

Das Leben her! – Es lebe die Welt!

Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 11-12.
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