Die Frivolen

[475] Die Zeit ist hin, wo vor den Banngewittern

Des Glaubens noch ein Bube mußte zittern.


Dahin sind auch die Tage, wo der Flug

Der Meisterkraft die Stümper niederschlug.


Der Geist hat auch sein gutes Recht verloren,

Sein altes Machtwort übers Volk der Toren.


Wie einen Lappen, aufgehängt im Winde,

Durchbohrt kein Kugelschuß auch dies Gesinde.


Sie flüchten, wenn der Ernst sie je befiel,

Ins Fleisch, in ihr verwesliches Asyl.


So durch und durch verdorben ist die Bande,

Daß sich der Blitz befleckt an ihrer Schande.


Der Bube läßt aufgären mit Gekreische

Der niedern Leidenschaften trübe Maische;


Was als ihr Heiligstes die Menschheit kennt,

Er wirfts in seinen Kübel als Ferment;


Wenn er die Blase schaut in seinem Schaume,

Scheint sie Weltkugel seinem Dünkeltraume.


Die Kunst ist eine derbe Magd geworden,

Verpöbelt in der Frone schlechter Horden.[475]


Sie schleppt das Holz, daß zündend sie bediene

Der Lüste lustig prasselnde Kamine.


Sie trägt den Eimer der verflachten Lumpen,

Mit Beifallstränenflut ihn voll zu pumpen.


Im Stalle waltet sie, den Freudenfesten

Der Taumelnden das Vieh heranzumästen.


Sie schreitet ihnen vor, aus ihren Wegen

Wie dürres Laub die Sitte fortzufegen.


Ich las einmal in einem fränkschen Blatte,

Daß eine Metze einen Liebsten hatte.


Der Liebste war ein armer, armer Ritter,

Dachlos, brotlos, kleidlos, es drückt' ihn bitter.


Denn, ach! er hatte nicht um sich geschlagen

Den Bettlermantel, den die Schwaben tragen,


Das Notgewändlein, das im Neckartal

Die Patria, Religion, Moral,


Drei alte Schneiderjungfern, zubereiten

Und dort den Bettlern um die Hüfte breiten.


Schon war der Arme fast in Not verkommen,

Da hat die Metze sein sich angenommen.


So manchem Jüngling war die Dirne schädlich,

Nur mit dem Einen meinte sie es redlich.


Was mit der Sünde sie gewann, der feilen,

Sie bracht es heim, es treu mit ihm zu teilen;


Behaglich nahm es an der faule Schuft,

Wie sie entehrt zueilte ihrer Gruft.


Und als ich von der Dirne las die Kunde,

Dacht ich der Kunst und wie sie geht zugrunde.[476]


Kein Bannesblitz kann solche Frevler schrecken,

Kein Geistesdonner sie zum Geiste wecken.


Für solcher Seelen schmähliche Umnachtung

Ist nur der Bann geblieben der Verachtung.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 475-477.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Faust: Ein Gedicht
Gedichte
Die schönsten Gedichte
Gedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon