Der Postillion

[101] Lieblich war die Maiennacht,

Silberwölklein flogen,

Ob der holden Frühlingspracht

Freudig hingezogen.


Schlummernd lagen Wies und Hain,

Jeder Pfad verlassen;

Niemand als der Mondenschein

Wachte auf der Straßen.


Leise nur das Lüftchen sprach,

Und es zog gelinder

Durch das stille Schlafgemach

All der Frühlingskinder.


Heimlich nur das Bächlein schlich,

Denn der Blüten Träume

Dufteten gar wonniglich

Durch die stillen Räume.


Rauher war mein Postillion,

Ließ die Geißel knallen,

Über Berg und Tal davon

Frisch sein Horn erschallen.


Und von flinken Rossen vier

Scholl der Hufe Schlagen,

Die durchs blühende Revier

Trabten mit Behagen.


Wald und Flur im schnellen Zug

Kaum gegrüßt – gemieden;

Und vorbei, wie Traumesflug,

Schwand der Dörfer Frieden.


Mitten in dem Maienglück

Lag ein Kirchhof innen,[102]

Der den raschen Wanderblick

Hielt zu ernstem Sinnen.


Hingelehnt an Bergesrand

War die bleiche Mauer,

Und das Kreuzbild Gottes stand

Hoch, in stummer Trauer.


Schwager ritt auf seiner Bahn

Stiller jetzt und trüber;

Und die Rosse hielt es an,

Sah zum Kreuz hinüber:


»Halten muß hier Roß und Rad,

Mags euch nicht gefährden:

Drüben liegt mein Kamerad

In der kühlen Erden!


Ein gar herzlieber Gesell!

Herr, 's ist ewig schade!

Keiner blies das Horn so hell

Wie mein Kamerade!


Hier ich immer halten muß,

Dem dort unterm Rasen

Zum getreuen Brudergruß

Sein Leiblied zu blasen!«


Und dem Kirchhof sandt er zu

Frohe Wandersänge,

Daß es in die Grabesruh

Seinem Bruder dränge.


Und des Hornes heller Ton

Klang vom Berge wieder,

Ob der tote Postillion

Stimmt' in seine Lieder. –[103]


Weiter gings durch Feld und Hag

Mit verhängtem Zügel;

Lang mir noch im Ohre lag

Jener Klang vom Hügel.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 101-104.
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