Fünfte und letzte Szene.


[289] Rieger. Hauptmann. Dann Herzog. Bleistift. Dann Nette. Die Vorigen.


RIEGER schon innen rechts sprechend. Das Zimmer leer! Die Tür offen! Tritt hastig und aufgeregt aus der Tür. Er ist fort –?!

GENERALIN. Du hast auf ihn schießen lassen, Unseliger?

GRÄFIN. Wehe Euch, wenn eine Kugel getroffen!

RIEGER. Auf ihn? Er ist also eben fort – holla! Wendet sich nach rechts zur Tür und ruft mit starker Stimme. Reiterpatrouille marsch! Unterdes ist der Hauptmann eingetreten von rechts aus der Tür und hat die Fragen gehört.

HAUPTMANN. Beruhigen Sie sich, erlauchte Frau, die Schüsse sind nur Signale zum Feuerwerk, Trommel und klingendes Spiel rechts. welches nach der Solitude hinauf signalisiert wird. – Durchlaucht der Herzog kommt eben an, Euer Gnaden abzuholen.

RIEGER hat sich nach hinten rechts gewendet und sich links vom Trommler, der sich, sowie der Grenadier, an den Pfählen aufstellt, postiert, nach rechts hinausblickend, von wo der Herzog an dem trommelnden Trommler und den präsentierenden[289] Grenadieren vorüber eintritt; vor dessen Eintritt noch ruft er. Durchlaucht der Herzog!

HERZOG hinten vor Rieger stehenbleibend. Was ist?

RIEGER. Der Jerobeam Schiller ist soeben entflohn – die Wache am Tor erwartet, und die Reiterpatrouille verfolgt ihn.

HERZOG kommt langsam vor und betrachtet die Frauen. Was ist das? Auf einen großen Brief in der Hand des Hauptmanns deutend.

HAUPTMANN. Das Paket meines Kuriers aus der Pfalz, welches das Exemplar der Räuber und Herrn von Dalbergs Entschuldigung enthält.

HERZOG zur Gräfin. Hast du um diesen eitlen Fluchtversuch gewußt?

GRÄFIN. Ja, ich hab ihn befördert.

GENERALIN. Ich auch.

HERZOG zum Hauptmann. Les' Er – Zur Gräfin. und höre nun das Urteil eines Unparteiischen, um es deinem Schützlinge mitzuteilen, sobald er eingebracht ist.

HAUPTMANN bricht das Siegel. Kein Buch darin!

HERZOG. Lesen!

HAUPTMANN. »Euer Hochwohlgeboren Schreiben um Friedrich Schillers Schauspiel »die Räuber« zeigt eine Besorgnis, welche hierzulande niemand teilt. Jedermann, der von deutscher Dichtkunst etwas zu verstehen glaubt, war hier in Mannheim freudig überrascht von der erstaunlichen Genialität, welche schon aus der Lektüre dieses Schauspiels entgegenspringt.«

HERZOG. Was?

GRÄFIN. Siehst du!

HAUPTMANN. »Ew. Hochwohlgeboren Verlangen, das Stück möge unterdrückt werden, hätte also schon darum große Schwierigkeit gefunden; denn ich könnte es vor meinem Vaterlande nicht verantworten, solch eine seltene Schöpfung der öffentlichen und allgemeinen Prüfung vorzuenthalten.«

GRÄFIN. Ein Dalberg!

GENERALIN. Ein braver Dalberg!

LAURA richtet sich auf.

HERZOG. Weiter!

HAUPTMANN. »Es hieße dies auch Ihrem Durchlauchtigen Souverän, der ein so feiner Kenner ist in ästhetischen Dingen,[290] einen schlimmen Dienst erzeigen; kurz, Hochwohlgeborner Herr, unter allen Umständen wäre ich nicht imstande gewesen, Ihren Wünschen hierin dienstbar zu sein, wenn es auch noch Zeit dazu gewesen wäre.«

HERZOG. Was!

HAUPTMANN. »Es war aber nicht mehr Zeit. Schon vor Ankunft Ihres Kuriers hatte die Aufführung stattgefunden.«

GENERALIN. Ah!

GRÄFIN. Ah!

LAURA. Ah!


Pause.


HERZOG. Aufgeführt?! – Weiter.

HAUPTMANN. »Die Zuschauer waren von weit und breit dazu herbeigeströmt; denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, das Stück sei etwas Außerordentliches. Das Theater war schon nachmittags überfüllt. Ich gehe so ins Detail wegen Ihres durchlauchtigen Herrn, welchen das Debüt seines Karlsschülers sehr interessieren und erfreuen wird« – verzeihen Durchlaucht Ihm den Brief hinhaltend. mich überfällt ein Schwindel –

HERZOG. Nehm Er sich zusammen und les' Er zu Ende.

HAUPTMANN. »erfreuen wird. Das Publikum zeigte sich sehr einsichtsvoll und unbefangen und war drei Akte lang karg mit Beifallsspenden, trotzdem daß Bök als Karl Moor und Beil als Schweizer vortrefflich spielten; erst im vierten Akte, als der junge Iffland den furchtbaren Charakter des Franz Moor vollständig entwickelte, erst da brach der Beifall aus« –

LAURA. Oh!

GRÄFIN. Oh!

GENERALIN. Oh! – Geb Er her, Er liest schlecht. Liest. »Da, da – brach der Beifall aus, aber auf eine Weise, wie ich es in meinem Leben nicht erfahren habe: es war ein Sturm, es war ein Jubel, als ob eine große Schlacht gewonnen würde. Und es war auch eine gewonnene große Schlacht, es war der Sieg deutschen Talentes über das französische Theater, von welchem wir bisher abhängig, ja welchem wir völlig dienstbar waren, es war ein Sieg, welcher Deutschland eine große dichterische Zukunft verspricht, und deshalb hab' ich von Herzen eingestimmt in den allgemeinen Jubelruf, in den Jubelruf. Es lebe der schwäbische Jüngling, in welchem der Genius unsers Vaterlandes einen großen Dichter erweckt[291] hat, einen Dichter, welcher Außerordentliches leisten und unsre Kinder und Kindeskinder noch entzücken wird, es lebe Friedrich Schiller!«


GRÄFIN. Es lebe Friedrich Schiller!

GENERALIN. Es lebe Friedrich Schiller!

LAURA. Es lebe Friedrich Schiller! Welche sich begeistert genähert hat.

GRÄFIN. Herzog Karl, haben die Frauen das Genie erkannt, und soll der Frevel sich erfüllen, daß Wachen und Reiter den Dichter, den gekrönten Dichter auf der Landstraße verfolgen und wieder hieherschleppen –?


Kurze Pause.


HERZOG. General Rieger! Die Torwachen instruieren, die Reiterpatrouillen zurückziehen, der junge Mann soll ungehindert von dannen gehn.

GRÄFIN ihm an die Brust fallend. Mein Karl!

GENERALIN. Mein Herzog!

LAURA. Gott lohn' es dir!

HERZOG. Er selbst, Rieger, kehrt spornstreichs auf den Hohenasperg heim, und der Prediger Hahn soll mir einen Bericht erstatten über Schubart – Marsch!

RIEGER wendet sich mürrisch und geht rechts ab.


Der Hauptmann hat sich langsam in den Hintergrund gezogen.

Pause.


HERZOG. Ich bin scheinbar vor dir zuschanden geworden, Franziska. Der Erfolg ist gegen mich! Meine Welt wird unter dem Beifallsgeschrei eines neuen Geschlechtes zu Grabe getragen. Ich habe die Worte des Poeten Schwabenstreiche genannt, jetzt wird man Schwabenstreiche des schwäbischen Herzogs nennen, was ich dagegen getan und gelassen – die Welt richtet nach dem Erfolge und nennt ihn Gottesgericht. Was soll mir jetzt der Schüler, da sein wildes Werk nicht mehr zu hemmen ist! Zu Laura. Mein Kind! wir beide müssen mit Schmerzen bezahlen, was die Welt ihren Gewinn und Fortschritt nennen wird, tröste dich an meinem Herzen!

LAURA ihm die Hand reichend. Meines Dichters Zukunft ist mein Trost!


Die Generalin hebt die Hände zum Himmel, die Gräfin wie segnend gegen Laura.

Der Vorhang fällt.


Schluß.[292]


Fußnoten

1 Soeben erscheint in Österreich ein preiswürdiges Gesetz zum Schutze literarischen Eigentums – es gibt das im Buchhandel erscheinende Drama ebenfalls frei.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09.
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