Das Landleben

[72] An Herrn Rammler


O rus, quando ego te aspiciam? quandoque licebit,

Nunc veterum libris, nunc somno et inertibus horis,

Ducere sollicitae jucunda oblivia vitae?

Horat.


O Freund! wie selig ist der Mann zu preisen,

Dem kein Getümmel, dem kein schwirrend Eisen;

Kein Schiff, das Beute, Mast und Bahn verlieret,

Den Schlaf entführet!


Der nicht die Ruhe darf in Berge senken,

Der fern vom Purpur, fern von Wechselbänken,

In eignen Schatten, durch den West gekühlet,

Sein Leben fühlet.
[72]

Er lacht der Schlösser von Geschütz bewachet,

Verhönt den Kummer, der an Höfen lachet,

Verhönt des Geizes in verschloßnen Mauren

Thörichtes Trauren.


So bald Aurora, wenn der Himmel grauet,

Dem Meer entsteigend, lieblich abwärts schauet,

Flieht er sein Lager ohn verzärtelt Schmücken

Mit gleichen Blicken.


Er lobt den Schöpfer, hört ihm Lerchen singen,

Die durch die Lüfte sich dem Aug entschwingen,

Hört ihm vom Zephyr lispelnd auf den Höhen

Ein Loblied wehen.


Er schaut auf Rosen, Thau wie Demant blitzen.

Schaut über Wolken von der Berge Spitzen,

Wie schön die Ebne, die sich blau verlieret,

Flora gezieret.


Bald zeigt sich fliehend auf des Meeres Rücken

Ein Schiff von weitem den nachfliehnden Blicken,

Das sie erst lange gleichsam an sich bindet,

Und dann verschwindet.


Bald sieht er abwärts, voller Glanz und Prangen,

Noch einen Himmel in den Fluthen hangen,

Noch eine Sonne Amphitritens Gränzen,

Grundaus durchglänzen.


Er geht in Wälder, wo an Schilf und Sträuchen

Im krummen Ufer Silberbäche schleichen,

Wo Blüthen duften, wo der Nachtigallen

Lustlieder schallen.
[73]

Jezt pfropft er Bäume, leitet Wassergräben,

Schaut Bienen schwärmen, führt an Wänden Reben,

Jezt tränkt er Pflanzen, zieht von Rosenstöcken

Schattende Hecken.


Eilt dann zur Hütten (da kein Laster thronet,

Die Ruh und Wollust unsichtbar bewohnet)

Weil seine Doris, die nur Liebreitz schminket,

Ihm freundlich winket.


Kein Knecht der Krankheit mischt für ihn Gerichte,

Unschuld und Freude würzt ihm Milch und Früchte,

Kein bang Gewissen zeigt ihm Schwerdt und Strafe

Im süssen Schlafe.


Freund! laß uns Golddurst, Stolz und Schlösser hassen,

Und Kleinigkeiten Fürsten überlassen.

Mein Lange ruft uns, komm zum Sitz der Freuden,

In seine Weiden.


Quelle:
Ewald Christian von Kleist: Sämtliche Werke. Stuttgart 1971, S. 72-74.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Goldoni, Carlo

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Die Prosakomödie um das Doppelspiel des Dieners Truffaldino, der »dumm und schlau zugleich« ist, ist Goldonis erfolgreichstes Bühnenwerk und darf als Höhepunkt der Commedia dell’arte gelten.

44 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon