Cyprier

[227] Du Wein der süßen Wonnen,

Du heißer Trank der Lust!

Willst du erloschne Sonnen,

Willst du versunkne Bronnen

Erwecken in der Brust?
[227]

Was führst du all mein Denken

Gen Morgen fern zurück,

Die Seele zu versenken,

Die Sinnen mir zu tränken

In unermeßnem Glück,


Wo grünen Myrtenhainen

Der Goldaltar entsteigt,

Sich glühes Widerscheinen

Von Rosen an den reinen

Marmornen Säulen zeigt!


Und Meeresfluten ziehen

Rings einen Zauberbann,

Daß nirgends man entfliehen

Dem ewigen Glühn und Blühen

Der schönsten Liebe kann!


Es rauscht in deinen Güssen,

Du roter Inselwein,

In deinen Feuerflüssen

Ein fabelhaftes Küssen

Zu meinen Lippen ein.


Die Heidengöttin neiget

Sich geisterhaft mir zu.

Ihr rauhen Lieder, schweiget!

In weißen Gliedern steiget

Sie aus der Todesruh!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 227-228.
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