Die sieben Wünsche

[139] Ein Rundgesang.


Nach einem alten deutschen Liede.


Hätt' ich sieben Wünsch' in meiner Gewalt,

Was wünscht' ich?

Nicht Glück und Ehren mannichfalt;

Den schönsten, liebsten Aufenthalt,

Den wünscht' ich.


Chor.


Der Wunsch ist in des Manns Gewalt;

Nicht Glück und Ehren mannichfalt,

Lieb' ist der schönste Aufenthalt.


Der zweite Wunsch in meiner Gewalt,

Was wünsch' ich?

Nie sei des Freundes Herz mir kalt,

Nie sei mir Lieb' und Leben alt!

Das wünsch' ich.


Chor.


Der Wunsch ist in des Manns Gewalt;

Nie sei Dein Herz dem Freunde kalt,

Nie sei uns Lieb' und Leben alt!


Der dritte Wunsch, und er ist mein,

Was wünsch' ich?

An Andrer Glück mich zu erfreun,

Mit meinem Glück vergnügt zu sein,

Das wünsch' ich.


Chor.


Der Wunsch ist unser insgemein;

Mit unserm Glück zufrieden sein

Macht uns an Andrer Glück uns freun.
[139]

Der vierte ist in meiner Gewalt,

Was wünsch' ich?

Ein frisches Herz, so lang' es wallt,

Bei Jugendkraft und Wohlgestalt,

Das wünsch' ich.


Chor.


Der Wunsch ist in des Manns Gewalt;

Ein frisches Herz, so lang' es wallt,

Schafft Jugendkraft und Wohlgestalt.


Der Wunsch ist jetzt in meiner Hand,

Was wünsch' ich?

Verachtend Vorurtheil und Tand,

Zu leben für mein Vaterland,

Das wünsch' ich.


Chor.


Der Wunsch ist in des Mannes Hand;

Verachtend Vorurtheil und Tand,

Ist Menschheit unser Vaterland.


Der sechste Wunsch in meiner Gewalt,

Was wünsch' ich?

Den süßen Ruhm, der nie verhallt,

Der aus dem Herzen widerschallt,

Den wünsch' ich.


Chor.


Der Wunsch ist in des Manns Gewalt;

Der süße Ruhm, der nie verhallt,

Ist, der aus Herzen widerschallt.


Der letzte Wunsch in meiner Gewalt,

Was wünsch' ich?

Ist der, den kaum die Lippe lallt,

Ein stiller Wunsch – komm' er mir bald!


Chor.


Des Herzens mächtigste Gewalt

Ist das, was kaum die Lippe lallt,

Ein stiller Wunsch – komm' er uns bald!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 139-140.
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