Osterkantate

[545] Zum 15. April 1781.


Des Lebens Fürsten haben sie getödtet,

Den Heiland Israel's.

Sie nahmen ihn und würgten ihn.


Der Fromme geht dahin,

Und Niemand ist, der es zu Herzen nehme;

Der Heilige wird weggerafft,

Und Niemand achtet drauf.


Aber Deine Todten werden leben

Und auferstehn!

Erwacht und blüht, Ihr Schlafenden unter der Erde!

Sein Thau ist Frühlingsthau. –[545]

Allmächt'ger Schauer dringt

Durch alle Wesen! – Ringt

Das Leben und der Tod

Um seinen Fürsten? – Gott

Jehovah ruft den Sohn

Im Schooß der kühlen Nacht!

Vom tiefen Schlaf erwacht,

Sieht auf der Held und blickt empor.

Wer mag ihn halten? – Durch das Thor

Des Lebens zeucht er! Helle Schaaren,

Die in dem Arm der Nacht gefangen mit ihm waren,

Sie ziehen nach ihm, ihrem Herrn,

Wie Sterne nach dem Morgenstern;

Sie dringen zu dem Licht hervor!

Empor! empor!


Thut auf die Pforten, die Thore der Welt!

Es zeucht der König der Ehren einher!

»Wer ist der König?« Es ist der Held,

Schrecklich, mächtig, mächtig im Streit.

»Wie kommt's, Dein Kleid ist roth von Blut?«

»Ich trat die Kelter, ich trat sie allein,

Ich stritt allein am Tage der Schlacht

Und ward voll Blut.«


Thut auf die Pforten, die Thore der Welt!

Es zeucht der König der Ehren einher

Und glänzet Heil! Er glänzet Heil!

Christ ist erstanden von der Marter alle,

Deß soll'n wir Alle froh sein;

Christ will unser Trost sein!

Kyrie Eleison.


Hallelujah! Hallelujah!

Deß soll'n wir Alle froh sein;

Christ will unser Trost sein!

Kyrie Eleison.


Wie die fernabgeschiedene

Geliebte Sonne sich

Nach ihres Frühlings Kindern sehnet

Und, wenn in kalter Nacht noch matt ihr Auge thränet,

Als Morgenröthe schon den düstern Nebel bricht,[546]

Zerreißt den Schleier und wird Licht:

So sehnet sich, so stehet der betrübten

Maria Jesus nah

Und nennt sie und ist da!


Und eilt mit jenem Paar, die nach der Ruhe flehn,

Ein Wandrer, mitzugehn.

Er raubet sanft ihr Herz und athmet fremde Gluth

In ihren lechzenden, gesunknen, kalten Muth,

Enthüllt sich und verschwindet,


Bis er die zehn geliebten

Verlorenen zusammen wiederfindet

Und Frieden ihnen giebt und haucht sie an mit Geist,

Der von der Balsamkraft des andern Lebens fleußt.


Er sucht den Irrenden in seiner Zweifel Nacht,

Der, wie vom schweren Traum erwacht,

Die Hand ihm legt in seine Wunden:

»Ich habe Dich gefunden!

Mein Herr und Gott!

Du lebest, ich bin todt.«


Und wandelt in des Morgens Frühe

Mit seinen Kindern: »Liebt Ihr mich?

Der mich nicht kannte, Simon, liebst Du mich?«

»Allwissender, o siehe

Mein Herz! ich liebe Dich.«


Auf der Lüfte heil'gem Weben,

In der Schöpfung tiefstem Leben,

Nahe meines Herzens Sehnen,

Nahe meiner Freude Thränen,

Siehe, sieh, da ist der Herr!

Siehe, sieh, da wandelt er!

Süße Stimme ruft im Leiden,

Ernste Stimme ruft in Freuden:

»Liebst Du mich?«

Ewiger, wir wollen lieben,

Lieben Dich!


(Von Anfang.)


Ach, Alles, Alles, was ein Leben,

Was Seel' und Odem in sich hat,

Soll Seele mir und Odem geben;

Denn meine Stimme ist zu matt,[547]

Die süßen Wunder zu erhöhn,

Die ewig, ewig mit mir gehn.


O Auferstandener, wo schwebtest

Du ungesehn? In welchem Reiche lebtest,

Ein König, Du! der Retter der Natur,

Die erste, schöne, neuerwachte Blume

Auf Gottes Flur!

Und trankst der Auferstehung Kraft

Für Deinen Kelch der Leiden,

Einathmend Himmelsfreuden,

Verbreitend überall des ew'gen Lebens Saft!

Ich sehe Dich! Dein schönes Kleid

Ist Morgenroth in aller Menschen Blicken,

Die Hoffnung der Unsterblichkeit,

Dein Leib die heilige verborgne Christenheit,

Dein Angesicht Entzücken!

Ich seh'! Auf Deinem Grabe blüht

Des Lebens hoher Baum,

An dem in weitem Raum

Die Schöpfung sich aus Nacht und Moder zieht

Und ewig wächst und ewig blüht!

Was tönet aus den Grüften

Dort für Gesang hervor?

Er steiget zu den Lüften:

Das Feld der Todten wird der Auferstehung Chor.


Jesus, mein Erlöser, lebt!

Ich werd' auch das Leben schauen,

Schweben, wo mein Heiland schwebt,

Auf des schönen Himmels Auen!

Da wird Schwachheit und Verdruß

Liegen unter meinem Fuß.


Hallelujah!

Der Tod ist verschlungen in Siegsgesang!

Tod, wo ist Dein Pfeil?

Grab, wo ist Dein Sieg?

Gelobt sei Gott, der uns den Sieg gegeben

Durch Christum, unsern Herrn! Hallelujah!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 545-548.
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