Das Abendmahl

[468] Er sprach's und wollte scheiden:

»Wie, Brüder, lieb' ich Euch!

Noch einen Kelch der Freuden!

Bis uns in Gottes Reich

Nach Müh und Blut und Streite

Empfängt ein Labemahl,

Genießt an Freundes Seite

Das letzte Freundesmahl!«


Er sprach's, und Herz und Liebe

Umgaben All' ihn da!

Verklärt in Gottes Liebe

Sie Jesus Christus sah:

»Wie ich geliebt Euch habe,

Liebt ewig, ewig Euch!

Wie ich Euch jetzo labe,

Labt einst uns Gottes Reich.«


Er sprach von Blutvergießen,

Von Lieben bis ins Grab:

»Mein Blut muß söhnend fließen,

Mein Leben blühen ab![468]

Seht, Euch zu Trost und Muthe,

Seht hier Euch ewig Mahl,

Den Bund mit meinem Blute,

Die Feier meiner Qual!


Mein Leib! mein Blut! genießet

Hier ewig meine Kraft!

Des Freundes Blut, es fließet

Zu Eures Lebens Saft.

Bald wird sich Alles wenden;

Getrost! ich bin bei Euch,

Hin zu der Welten Enden

Bis hin in Gottes Reich!«


Er sprach's und ging zum Leiden

Vom letzten Liebesmahl;

Und ewig nach dem Scheiden

Ward es sein Abendmahl,

Ein Mahl der Lieb' und Thränen,

Der Freundschaft in den Tod,

Voll Wehmuth, Wonn' und Sehnen

Und Labsal hin zu Gott.


Auf Paradieses Auen

Umarmt er fern sie schon!

Vom Kelche konnten schauen

Sie auf zu Gottes Thron,

Wo einst, nach Müh und Streite

Und Blut und Kampf und Qual,

An ihres Freundes Seite

Empfängt sie Freudemahl.


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 468-469.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Aus Den Ideen Zur Philosophie Der Geschichte Der Menschheit: Nebst Vermischten Gedichten (Hardback) - Common
Aus Den Ideen Zur Philosophie Der Geschichte Der Menschheit: Nebst Vermischten Gedichten (Paperback) - Common
Gedichte (German Edition)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon