Der Nachruhm

[40] Mich reizet nicht des Ruhmes Schall,

Der aus Posaunen tönt,

Den jeder leise Widerhall

Im stillen Thal verhöhnt.

Ein Ruhm, der wie der Sturmwind braust,

Ist selbst ein Sturm, der bald versaust.


Mich reizet mehr der Silberton,

Der unbelauschet klingt

Und meiner Muse schönsten Lohn,

Den Dank des Herzens, singt,

Die Thräne, die dem Aug' entfließt

Und mich mit Bruderliebe grüßt.


Nicht Allen gönnte die Natur

Das allgepriesne Glück,

Zu bilden auf des Schöpfers Spur

Ein ew'ges Meisterstück,

Das, ein Vollkommnes seiner Art,

Der Nachwelt stetes Muster ward,


An dem, im Anblick noch entzückt,

Der späte Schüler steht

Und in des Meisters Seele blickt

Und stumm von dannen geht,

Indeß sein Herz den seltnen Geist

Mit lautem Puls glückselig preist.


Wir schwimmen in dem Strom der Zeit

Auf Welle Welle fort;

Das Meer der Allvergessenheit

Ist unser letzter Ort.

Genug, wenn Welle Welle trieb

Und ohne Namen Wirkung blieb;


Wenn dann auch in der Zeiten Bau

Mich bald ihr Schutt begräbt,[40]

Und meine Kraft auf Gottes Au

In andern Blumen lebt,

Und mein Gedanke mit zum Geist

Vollendender Gedanken fleußt.


Schön ist's, von Allen anerkannt,

Sich allgelobt zu sehn;

Doch schöner noch, auch ungenannt,

Wohlthätig fest zu stehn.

Verdienst ist meines Stolzes Neid

Und bei Verdienst Unsichtbarkeit.


So nennet Gottes Creatur

Nur schweigend seinen Ruhm;

Sie blüht in wirkender Natur,

Ihr selbst ein Eigenthum.

Der Schöpfer zeigt sich nicht, und kühn

Verkennt der Thor und leugnet ihn.


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 40-41.
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