Der Schmetterling

[196] Ein Jugendbild


Ein Räuplein saß auf kleinem Blatt,

Es saß nicht hoch, doch aß es satt[196]

Und war auch wohl geborgen;

Da ward das kleine Raupending

Zum Schmetterling,

An einem schönen Morgen

Zum bunten Schmetterling.


Der Schmetterling blickt um sich her,

Es wogt um ihn ein goldnes Meer

Von Farben und von Düften;

Er regt entzückt die Flügelein:

Muß bei euch sein,

Ihr Blumen auf den Triften,

Muß ewig bei euch sein!


Er schwingt sich auf, ihn trägt die Luft

So leicht empor, er schwelgt in Duft,

O Freude, Freude, Freude!

Da saus't ein scharfer Wind vorbei,

Reißt ihm entzwei

Die Flügel alle beide,

Der Wind reißt sie entzwei.


Er taumelt, ach! so matt, so matt,

Zurück nun auf das kleine Blatt,

Das ihn ernährt als Raupe.

O weh', o weh', du armes Ding!

Ein Schmetterling,

Der nährt sich nicht vom Laube –

Du armer Schmetterling!


Ihm ist das Blatt jetzt eine Gruft,

Ihn letzt nur Blumensaft und Duft,

Die kann er nicht erlangen,[197]

Und eh' noch kommt das Abendroth,

Sieht man ihn todt

An seinem Blättlein hangen,

Ach kalt, erstarrt und todt!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 196-198.
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