Franzensfeste

[225] Franzensfeste, du Thor des Frühlings,

draus dem fröstelnden, nordischen Fremdling

Lenzeswogen der Blüthenbäume

warm und lachend entgegenströmen,

weich und wonnig entgegenschlagen –

sage, warum diese dräuenden Mienen,

all diese Mauern und finsteren Gräben,

all diese Wälle, draus ungezählte

Riesenkanonen gen Himmel starren? –


Wehe! Europa rüstet den Frieden!

Tief in die wonnigsten Thäler der Berge

tragen sie düster das Werk der Zerstörung,

tragen sie seufzend des Krieges Bild.


Franzensfeste, du Thor des Frühlings:

Einst – ich weiss es – ranken und schwanken

blaue Syringen empor an den Mauern,

goldener Regen weht von den Zinnen

und auf den Wällen wildert die Rose.
[226]

Doch aus den leeren Kanonenscharten

klingt's wie der Klang der gefüllten Gläser,

klingt es wie silbernes Mädchenlachen,

klingt's wie Gesang froh-seliger Menschen! –


Lass uns träumen von deiner Zukunft,

Franzensfeste, du Thor des Frühlings!

Quelle:
Otto Erich Hartleben: Meine Verse. Berlin 1905, S. 225-227.
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