Zum neuen Jahr

[75] Zwischen dem Alten,

Zwischen dem Neuen

Hier uns zu freuen,

Schenkt uns das Glück,

Und das Vergangne

Heißt mit Vertrauen

Vorwärts zu schauen,

Schauen zurück.


Stunden der Plage,

Leider, sie scheiden

Treue von Leiden,

Liebe von Lust;

Bessere Tage

Sammlen uns wieder,

Heitere Lieder

Stärken die Brust.


Leiden und Freuden,

Jener verschwundnen,

Sind die Verbundnen

Fröhlich gedenk.

O des Geschickes

Seltsamer Windung!

Alte Verbindung,

Neues Geschenk!
[75]

Dankt es dem regen,

Wogenden Glücke,

Dankt dem Geschicke

Männiglich Gut,

Freut euch des Wechsels

Heiterer Triebe,

Offener Liebe,

Heimlicher Glut!


Andere schauen

Deckende Falten

Über dem Alten

Traurig und scheu;

Aber uns leuchtet

Freundliche Treue;

Sehet, das Neue

Findet uns neu.


So wie im Tanze

Bald sich verschwindet,

Wieder sich findet

Liebendes Paar;

So durch des Lebens

Wirrende Beugung

Führe die Neigung

Uns in das Jahr.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 75-76.
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