Was soll ich doch, o Ephraim, was soll ich aus dir machen?

[194] (Hosea 11, 8/9)


1.

Was soll ich doch, o Ephraim,

Was soll ich aus dir machen?

Der du so oftmals meinen Grimm

Hast pflegen zu verlachen?

Soll ich dich schützen, Israel?

Soll ich dir deine freche Seel

Hinfürder noch bewahren?

Aus welcher doch von Jugend auf

Ein solcher großer Sündenhauf

Ohn alle Scheu gefahren.


2.

Sollt ich nicht billig deiner Tat

Und Leben gleich mich stellen?

Und dich wie Sodom ohne Gnad

Und wie Adama fällen?

Sollt ich nicht billig meine Glut

Auf dein verfluchtes Gut und Blut

Wie auf Zeboim schütten?

Dieweil du ja mein Wort und Bahn

Fast ärger noch, als sie getan,

Bis hieher überschritten.


3.

Ja, billig sollt ich dich dahin

In alles Herzleid senken,

Allein es will mir nicht zu Sinn,

Ich hab ein andres Denken;[194]

Mein Herze will durchaus nicht dran,

Daß es dir tu, wie du getan,

Es brennt für Gnad und Liebe;

Mich jammert dein von Herzen sehr

Und kann nicht sehen, daß das Heer

Der Höllen dich betrübe.


4.

Ich kann und mag nicht, wie du wohl

Verdienet, dich verderben;

Ich bin und bleib Erbarmens voll

Und halte nichts vom Sterben;

Denn ich bin Gott, der treue Gott,

Mitnichten einer aus der Rott

Der bösen Adamskinder,

Die ohne Treu und Glauben seind

Und werden ihren Feinden feind

Und täglich größre Sünder.


5.

So bin ich nicht, das glaube mir,

Und nimms recht zu Gemüte,

Ich bin der Heilge unter dir,

Der ich aus lauter Güte

Für meine Feinde in den Tod

Und in des bittern Kreuzes Not

Mich als ein Lamm begeben;

Ich, ich will tragen deine Last,

Die du dir, Mensch, gehäufet hast,

Auf daß du mögest leben.


6.

O heilger Herr, o ewges Heil,

Versöhner meiner Sünden,

Ach, heilge mich und laß mich teil

In, bei und an dir finden!

Erwecke mich zur wahren Reu

Und gib, daß ich dein edle Treu[195]

Im festen Glauben fasse;

Auch töte mich durch deinen Tod,

Damit ich allen Sündenkot

Hinfort von Herzen hasse.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 194-196.
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