Gott Vater, sende deinen Geist

[96] 1.

Gott Vater, sende deinen Geist,

Den uns dein Sohn erbitten heißt,

Aus deines Himmels Höhen.

Wir bitten, wie er uns gelehrt:

Laß uns doch ja nicht unerhört

Von deinem Throne gehen!


2.

Kein Menschenkind hier auf der Erd

Ist dieser edlen Gabe wert,

Bei uns ist kein Verdienen.

Hier gilt gar nichts als Lieb und Gnad,

Die Christus uns verdienet hat

Mit Büßen und Versühnen.


3.

Es jammert deinen Vatersinn

Der große Jammer, da wir hin

Durch Adams Fall gefallen.

Durch dieses Fallen ist die Macht

Des bösen Geistes leider bracht

Auf ihn und auf uns allen.


4.

Wir halten, Herr, an unserm Heil

Und sind gewiß, daß wir dein Teil

In Christo werden bleiben,[96]

Die wir durch seinen Tod und Blut

Des Himmels Erb und höchstes Gut

Zu haben treulich gläuben.


5.

Und das ist auch ein Gnadenwerk

Und deines heilgen Geistes Stärk,

In uns ist kein Vermögen.

Wie bald würd unser Glaub und Treu,

Herr, wo du uns nicht stündest bei,

Sich in die Aschen legen.


6.

Dein Geist hält unsres Glaubens Licht,

Wenn alle Welt dawider ficht

Mit Sturm und vielen Waffen,

Und wenn auch gleich der Fürst der Welt

Selbst wider uns sich legt ins Feld,

So kann er doch nichts schaffen.


7.

Wo Gottes Geist ist, da ist Sieg,

Wo dieser hilft, da wird der Krieg

Gewißlich wohl ablaufen.

Was ist doch Satans Reich und Stand?

Wann Gottes Geist erhebt die Hand,

Fällt alles übern Haufen.


8.

Er reißt der Höllen Band entzwei,

Er tröst't und macht das Herze frei,

Von allem, was uns kränket;

Wenn uns des Unglücks Wetter schreckt,

So ist ers, der uns schützt und deckt

Viel besser, als man denket.


9.

Er macht das bittre Kreuze süß,

Ist unser Licht in Finsternis,

Führt uns als seine Schafe,[97]

Hält über uns sein Schild und wacht,

Daß seine Herd in tiefer Nacht

Mit Ruh und Frieden schlafe.


10.

Den Geist, den Gott vom Himmel gibt,

Der leitet alles, was ihn liebt,

Auf wohlgebahnten Wegen,

Er setzt und richtet unsern Fuß,

Daß er nicht anders treten muß,

Als wo man findt den Segen.


11.

Er macht geschickt und rüstet aus

Die Diener, die des Herren Haus

In diesem Leben bauen;

Er ziert ihr Herz, Mund und Verstand,

Läßt ihnen, was uns unbekannt,

Zu unserm Besten schauen.


12.

Er öffnet unsers Herzens Tor,

Wenn sie sein Wort in unser Ohr

Als edlen Samen streuen,

Er gibet Kraft demselben Wort,

Und wenn es fället, bringt ers fort

Und lässets wohl gedeihen.


13.

Er lehret uns die Furcht des Herrn,

Liebt Reinigkeit und wohnet gern

In frommen keuschen Seelen.

Was niedrig ist, was Tugend ehrt,

Was Buße tut und sich bekehrt,

Das pflegt er zu erwählen.


14.

Er ist und bleibet stets getreu,

Er steht uns auch im Tode bei,

Wenn alle Ding abstehen;[98]

Er lindert unsre letzte Qual,

Läßt uns hindurch ins Himmels Saal

Getrost und fröhlich gehen.


15.

O selig, wer in dieser Welt

Läßt diesem Gaste Haus und Zelt

In seiner Seel aufschlagen!

Wer ihn aufnimmt in dieser Zeit,

Den wird er dort zur ewgen Freud

In Gottes Hütte tragen.


16.

Nun, Herr und Vater aller Güt,

Hör unsern Wunsch: Geuß ins Gemüt

Uns allen diese Gabe!

Gib deinen Geist, der uns allhier

Regiere und dort für und für

Im ewgen Leben labe!

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 96-99.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Wach auf, mein Herz, und singe: Vollständige Ausgabe seiner Lieder und Gedichte
Erinnerungen 2014: Postkartenkalender - Christliche Lieder & Gedichte
Wach auf, mein Herz, und singe. Gesamtausgabe seiner Lieder und Gedichte
Gedichte Von Paulus Gerhardt (German Edition)

Buchempfehlung

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von

Gedichte

Gedichte

»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«

224 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon