Die güldne Sonne

[111] 1.

Die güldne Sonne

Voll Freud und Wonne

Bringt unsern Grenzen

Mit ihrem Glänzen

Ein herzerquickendes liebliches Licht.

Mein Haupt und Glieder,

Die lagen darnieder,

Aber nun steh ich,

Bin munter und fröhlich,

Schaue den Himmel mit meinem Gesicht.


2.

Mein Auge schauet,

Was Gott gebauet

Zu seinen Ehren

Und uns zu lehren,

Wie sein Vermögen sei mächtig und groß,

Und wo die Frommen

Dann sollen hinkommen,

Wenn sie mit Frieden

Von hinnen geschieden

Aus dieser Erden vergänglichem Schoß.


3.

Lasset uns singen,

Dem Schöpfer bringen

Güter und Gaben;

Was wir nur haben,[111]

Alles sei Gotte zum Opfer gesetzt.

Die besten Güter

Sind unsre Gemüter;

Dankbare Lieder

Sind Weihrauch und Widder,

An welchen er sich am meisten ergötzt.


4.

Abend und Morgen

Sind seine Sorgen;

Segnen und mehren,

Unglück verwehren

Sind seine Werke und Taten allein.

Wann wir uns legen,

So ist er zugegen,

Wann wir aufstehen,

So läßt er aufgehen

Über uns seiner Barmherzigkeit Schein.


5.

Ich hab erhoben

Zu dir hoch droben

All meine Sinnen;

Laß mein Beginnen

Ohn allen Anstoß und glücklich ergehn!

Laster und Schande,

Des Luzifers Bande,

Fallen und Tücke

Treib ferne zurücke,

Laß mich auf deinen Geboten bestehn!


6.

Laß mich mit Freuden

Ohn alles Neiden

Sehen den Segen,

Den du wirst legen

In meines Bruders und Nähesten Haus;

Geiziges Brennen,[112]

Unchristliches Rennen

Nach Gut mit Sünde,

Das tilge geschwinde

Von meinem Herzen und wirf es hinaus!


7.

Menschliches Wesen,

Was ist's? Gewesen.

In einer Stunde

Geht es zu Grunde,

Sobald das Lüftlein des Todes drein bläst.

Alles in allen

Muß brechen und fallen,

Himmel und Erden

Die müssen das werden,

Was sie vor ihrer Erschöpfung gewest.


8.

Alles vergehet,

Gott aber stehet

Ohn alles Wanken;

Seine Gedanken,

Sein Wort und Willen hat ewigen Grund,

Sein Heil und Gnaden,

Die nehmen nicht Schaden,

Heilen im Herzen

Die tödlichen Schmerzen,

Halten uns zeitlich und ewig gesund.


9.

Gott, meine Krone,

Vergib und schone;

Laß meine Schulden

In Gnad und Hulden

Aus deinen Augen sein abegewandt.

Sonsten regiere,

Mich lenke und führe,

Wie dirs gefället.[113]

Ich habe gestellet

Alles in deine Beliebung und Hand.


10.

Willst du mir geben,

Womit mein Leben

Ich kann ernähren,

So laß mich hören

Allzeit im Herzen dies heilige Wort:

Gott ist das Größte,

Das Schönste und Beste,

Gott ist das Süßte

Und Allergewißte,

Aus allen Schätzen der edelste Hort.


11.

Willst du mich kränken,

Mit Gallen tränken,

Und soll von Plagen

Ich auch was tragen:

Wohlan, so mach es, wie dir es beliebt.

Was gut und tüchtig,

Was schädlich und nichtig

Meinem Gebeine,

Das weißt du alleine,

Hast niemals keinen zu sehre betrübt.


12.

Kreuz und Elende,

Das nimmt ein Ende;

Nach Meeresbrausen

Und Windessausen

Leuchtet der Sonnen gewünschtes Gesicht.

Freude die Fülle

Und selige Stille

Hab ich zu warten

Im himmlischen Garten;

Dahin sind meine Gedanken gericht.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 111-114.
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