Hermanns Enkel

[167] Altdeutsch! – Altdeutsch? – Nun, das ist,

Was man so in Büchern liest: –

Kluge Rosse – prächt'ge Decken,

Händel, Kruzifixe, Recken –

Oh, wie herrlich strahlt dies Leben!

Göttlich! – Doch mit Unterschied.

Es versteht sich, daß man's deute –

's wär doch gar zu unbequem,

Wenn man alles wörtlich nähm,

Wie's da durcheinander blüht! –

Diese Ritter – gute Leute,

Ehrlich, tapfer, brave Reiter –

Gegen uns doch Bärenhäuter![167]

Eigentlich sind wir wohl weiter.

Lehnstreu – Klöster – Barbarei –

Davon machen wir uns frei.

Fangen wir so an zu sichten:

Fürcht ich, bleibt es bei Gedichten

Nein doch! Eines, geht mir bei,

Eines bleibt doch: dies Vernichten

Aller Modesklaverei! –

Hohe Vaterländerei!

Schnittst du los nicht Hermanns Söhne

Von des Halstuchs schnöden Schlingen,

Worin, sonder Kraft und Schöne,

Unsre Väter schmählich hingen?

Gabst du nicht dem Löwen Mähne,

Die ihm frech die Zeit gestohlen?

Statt des wind'gen Fracks Geflatter

Der Litewka Schurz aus Polen,

Statt des Franzen knabenglatter

Schnauze: seinen Henri quatre? –

Bruder, ich sag's unverhohlen,

Und auch du wirst's nicht bestreiten:

Große Zeichen großer Zeiten! –

Wahrlich, säh ich nicht den Kragen

Übern schwarzen Rock geschlagen,

Schien' mir alles Ironie.

Doch wie sprech ich da? Ironisch –

Dieses Wort ist nicht teutonisch.

Undeutsch ist die falsche Freude:

Künsteln am wahrhaften Wort!

Ob auch feige Poesie

Sauere Gesichter schneide:

Durch den welschen Lügenwitz

Schreitet stramm der Deutsche fort

Hinter seiner Nasenspitz,

Aller Ehrlichkeiten Sitz,

Biderb immer gradeaus.

Alles Welsche wird mir Graus,

Seit ich steck im deutschen Kleide:

Du auch, Liebchen, wähle gleich

Deine Tracht dir altdeutsch aus!

Wie's auf Bildern noch zu schauen:[168]

Wedel von dem Schweif der Pfauen,

Dann von Spitzen, blumenreich,

Wie 'ne mittelmäß'ge Scheibe,

Eine steife Halsrotunde!

's ist so überm schlanken Leibe

Wie ein Regenschirm gespannt,

Obendrauf dann statt dem Knopf

Schwebt der holde Frauenkopf,

In das Blütenmeer von Kragen,

Ariadnen gleich, verschlagen. –

Oh, und ein moral'scher Kragen!

Denn wer ist da so gewandt,

Flüsternd was ins Ohr zu sagen,

Was nicht gleich die andern wissen?

Und – unmöglich ist das Küssen!


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 167-169.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1841)
Gedichte
Fünfzig Gedichte
Und es schweifen leise Schauer: Gedichte (Lyrik)
Sämtliche Gedichte und Versepen
Gedichte (Fiction, Poetry & Drama)

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon