Vergeltung

[328] Wie der Mai du anzuschauen,

Wonnereiche, Zarte, Feine,

Mit des Haares Gold, der blauen

Klaren Augen Himmelsreine;

Mit den Lippen von Korallen,

Mit der Gabe zu gefallen,

Holdes, süßes Mägdelein, –

Mußt, unseligste von allen,

Du des Henkers Tochter sein?!


Und der Vater kam nach Hause

Düstern, fast verstörten Mutes;

Ihn verfolgt das Bild, das grause,

Des am Tag vergoßnen Blutes: –

Haben, die den Stab gebrochen,

Nach den Rechten auch gesprochen,

Schreit um Rache doch dies Blut;

Jene Rechte sind bestochen,

Sind der Unterdrücker Gut.


Ja, die Mächt'gen, die Beglückten,

Ja, die Götter dieser Erden!

Ihnen muß der Unterdrückten

Sühnend Blut geopfert werden;

Rein von Blut sind ihre Hände,

Das Gesetz verlangt die Spende,

Wie der Richter selber spricht;[328]

Ich, Verworfner, bring's zu Ende,

Ob das Herz darob mir bricht.


Recht und Freiheit! rufen wollte

Dieser noch, da scholl der dumpfe

Trommelschlag, – ein Wink, – es rollte

Schnell sein Haupt getrennt vom Rumpfe.

Morgen werden Mütter weinen,

Morgen folgen zwei dem einen,

Und gebrandmarkt werden drei! –

Möchte noch der Tag mir scheinen,

Wo Vergeltung Losung sei! –


Wühlt in seines Herzens Wunden

So der Alte trüb und trüber,

Und die nächtlich bangen Stunden

Ziehen träg an ihm vorüber;

Ewig scheint die Nacht zu dauern;

Wahngebilde sieht er lauern,

Wo sein Auge starrend ruht;

Sieht an den geweißten Mauern

Rieseln der Gerechten Blut.


Und er hofft die düstern Sorgen

Sich beschäft'gend abzustreifen,

Im voraus zum andern Morgen

Will er Beil und Messer schleifen,

Will am Herde sich bemühen

Noch die Stempel auszuglühen,

Die er morgen brauchen soll; –

Blutrot sieht er Funken sprühen

Um das Eisen schreckenvoll.


Blut und Blut! Die grausen Bilder

Stürmen auf ihn ein und hadern,

Es empöret wild und wilder

Sich das Blut in seinen Adern;

Frieden hofft er nur zu finden,

Sich der Angst nur zu entwinden

In der reinen Unschuld Näh: –

Dieser Spuk, er wird verschwinden,

Wann ich meine Tochter seh.
[329]

Nahen will ich ihr, mich halten

Ihr zu Häupten, nur sie schauen,

Zum Gebet die Hände falten

Und auf meinen Gott vertrauen. –

Wie er sagte, also tat er,

Sorglich, leisen Schrittes naht' er,

Nicht zu stören ihre Ruh; –

Was, verzweiflungsvoller Vater,

Zuckst dein scharfes Messer du?


Ach du siehest, weh dir Armen!

Siehst den Wüstling, siehst den Grafen,

Siehst der Tochter in den Armen

Den Verführer eingeschlafen.

Im Begriff, den Stoß zu führen,

Wirst du andres noch erküren,

Ja! du wirfst das Messer weit, –

Zeit war's, jene Glut zu schüren,

Und der Stempel liegt bereit. –


Wirst nicht, Schandbub, mit dem Leben

Nur die Freveltat mir büßen;

Werde meinen Fluch dir geben,

Und du wirst dich krümmen müssen,

Trage du auf deiner bleichen

Stirne dieses Kainszeichen,

Eingebrannt von meiner Hand!

Magst so ungefährdet schleichen,

Mann der Sünde, durch das Land.


Zischend brennt sich ein das Eisen,

Schreiend fährt er aus dem Schlafe,

Und erblickt den grimmen Greisen

Mit dem Werkzeug seiner Strafe. –

»Zeuch von hinnen! dein Erwachen

Möge den noch glaubend machen,

Der Vergeltung nicht geglaubt;

Gott ist mächtig in dem Schwachen«:

Spricht's und wiegt sein graues Haupt.
[330]

Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 328-331.
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