Siebente Scene.

[144] Das Innere der Ruine von Faust's Hause.

Dachloses halbverfallenes schwarzes Gemach mit zum Theil erhaltenen Bogenfenstern, rings Schutt und Trümmer. Über der eingebrochenen Mauer des Hintergrunds erhebt sich der Vollmond, der das Ganze magisch beleuchtet.


FAUST kommt mit entblößtem Haupte aus der Tiefe; gleich nach ihm Wagner, der am Eingange stehen bleibt.

Nur leise, Faust, beschreite diese Schwelle,

Daß nicht erwache die Vergangenheit.[144]

O holdes Grabmal mein, vom Mond so helle

Mit hundert frommen Lilien bestreut!

Da schlummert sie in sichrer, schwarzer Wiege,

Faust, schreite leise! deine Jugendzeit;

Verklärtes Lächeln schwebt um ihre Züge

Mit zarten Spuren von Vergänglichkeit.

Ich will zu dir mich legen und entschlafen!

Doch! – ruht denn hier auch meine Jugend? Nein!

Das ist ja keine Wiege. S'ist der Hafen,

Da lief ich aus, da lauf' ich wieder ein!

O ich besinne mich! Und in den Tagen,

Den wenigen, da ich das Meer befuhr,

Ward er verbrannt vom Blitze und zerschlagen.

Sein ganzer Schutzbau ist Ruine nur.

Die Wellen rauschen jammernd durchs Gemäuer,

Sie schleudern Glück, versunknes, ringsum aus,

Und Leichen, für der Tiefe Ungeheuer

Und für Hyänenzahn ein sichrer Schmaus!

Ja, ja, so ist's! Vom Himmelsleuchtthurm blicken

Zur Warnung allen Schiffern, Strahlen dort,

Hier sei die Stelle, wo die Schiffe sinken,

Und für das Elend nur sei hier ein Port.


Eine Phiole ziehend.


Du, Lootse, führe mich zum Jenseitsstrande

Rasch, auf gedankenschnellem Kahn!

Hin zu der Wahrheit unentdecktem Lande,

Sei's zur Vernichtung auch, wohlan![145]

WAGNER tritt auf.

Kommt, theurer Herr, mir graut an diesem Orte,

Der Böse fußt noch inner seiner Pforte;

Kommt, Meister, folget mir hinaus,

Hier wohnt der Hölle Graus.

Ich kann mich des Entsetzens nicht entschlagen;

Das ist kein Ort für euch,

Es ist des Lügengeists Bereich;

Für euch nur sorgend mocht' ich her mich wagen!

Kommt in mein armes, aber sichres Haus:

Ich dank' es Gott und redlichem Bemüh'n,

Beginnt von neuem, zieht auf Gutes aus.

Wer weiß, wo euch das Glück noch kann erblüh'n.

Ich berg' indessen euch in eine Kammer

Und trag' den Zoll euch meines Dankes ab;

Ihr sollt euch selber wiederfinden und den Jammer

Verwinden, den euch Gott zur Sühne gab.

Kommt, Herr, o macht mir diese Freude,

Bei mir, bis bess're Zeit, zu weilen,

Mein Stückchen Brot mit mir zu theilen

Und zu genesen bald von jedem Leide!

FAUST.

Vergaßest du, wem ich mich gab zu eigen?

WAGNER.

O könnt' ich, guter Meister, es vergessen,

Wem ihr euch hingegeben jüngst vermessen![146]

Laßt uns davon jetzt schweigen;

Es gilt in diesem Augenblick,

Des Schicksals Rad auf andern Pfad zu lenken.

Ihr lehrtet mich, wie man beherrscht das Glück,

So mag man sich beherrscht vom Glücke denken;

Und wart ihr euers Misgeschickes Schmied,

Beschwort ihr auch den bösesten der Geister,

Herr, glaubt, ein gottergebenes Gemüth

Wird endlich selbst der Hölle Meister.

Ja; und ich kann nicht glauben,

Daß, was in holdem Sonnenlicht geboren,

Die Finsterniß so gänzlich könne rauben,

Daß es für ewig sei verloren!

FAUST ihm an die Brust sinkend.

O Gott!

WAGNER ihn umschlingend.

Mein Geist ist schwach nur gegen euern,

Doch keines Menschen Herzen weicht mein Herz,

Drum laßt mich herzlich euch betheuern,

Ich theile euern Schmerz;

Nur blickt mein Auge noch zum Himmel offen,

Noch hab' ich nicht verlernt zu hoffen,

Wißt ihr, warum? – weil ich noch glauben kann!

FAUST.

Das ist der Bann,

Der aus mich schließt von deinem Frieden![147]

WAGNER.

O kommt mit mir, o folget schnell,

Die Himmelslampe leuchtet hell,

Sie zeigt uns des Vertrauens Pfad hienieden.

FAUST in vollem Schmerze.

Du reinste, theuerste der Seelen,

O wie beschämst du mich!

Ich kanns dir nicht verhehlen,

Noch schlägt in mir ein Herz, noch fühl' ich Leben,

Noch macht in mir die Menschheit geltend sich;

So lange noch des Daseins Saiten beben,

Ertönt das Lied der Sehnsucht ewiglich.

O Wagner, könnt' ich ungeschehen machen,

Was, ach! durch mich gescheh'n!

Zu spät, du siehst mich an der Hölle Rachen

Ein angebanntes Opfer steh'n:

Ein Athemzug von ihr, ich bin nicht mehr!

Warum noch kam ich in mein Haus?

Blick' um dich her:

Erkennst du noch die Stelle da?

Hier stand mein Arbeitstisch, du warst mir nah,

Und hörtest lernbegierig auf mein Wort,

Mein Fernrohr stand an jenem Fenster dort,

Wodurch ich in den Himmel sah,

Zu zählen und zu messen in der Ferne

Die ewig unveränderlichen Sterne![148]

Hier war mein Bücherschrank,

Mein Apparat,

Die Werke rings, aus denen früh und spat

In meinem Wissensdurst ich trank!

Und Alles hin nun, Alles, Alles!

In Schutt und Trümmern all mein Eigenthum,

Ringsum

Nichts als ein Schreckensdenkstein meines Falles!

Ein Haus und keine Seele drin,

Kein Gott darin, und Alles hin!

Die ganze Lebensseligkeit,

Die ganze Hoffnung meiner Jugend,

Mein Geist, mein Herz und meine Tugend

In alle Winde hin zerstreut

Und ich am Rande der Verworfenheit!

O Jammer, nicht in Worten zu erfassen,

O unaussprechliche Zerstörung! Weh! –

Ihr letzten Thränen, die man mir gelassen,

Strömt hin! Natur, die ewige,

Will den Tribut, der lange vorenthalten;

O, daß mit euch mein Leben strömte hin!

Ihr rastlos thätigen Gewalten,

Sagt mir durch Thränen, daß ein Mensch ich bin.

Ich lern' es jetzt im letzten Augenblicke,

Er ist mir Strafe für mein ganzes Sein,

Indem ich dich zerstücke

O Leben, bin ich dein! –[149]

WAGNER.

Gebt euch nicht so dem Grame hin,

Ihr seid ja noch nicht ganz und gar verlassen,

Traut mir, ob ich gleich selber hülflos bin,

Und suchet euch zu fassen.

Was kann der Mensch nicht, Herr, wenn er besonnen

Berechnet seine Kraft;

Aus euch spricht jetzt des Schmerzes Leidenschaft!

Gewinnt nur Zeit, und Alles ist gewonnen.

FAUST im Wahnsinn.

Hast Recht, ich will vertrauen mich der Zeit,

Der lachenden Tochter der Ewigkeit,

Ich will an die Brust ihr sinken,

Mich schmücken mit den Schlangen ihres Haars,

Will ihren süßen Zauberathem trinken,

Auf den Fittigen des Aars,

Der in das Meer des Sonnenlichtes taucht,

Von Himmelslüften umhaucht!

Ich habe ja selbst das Mittel erfunden,

In seligen Stunden

Gelehrter Abgeschiedenheit.

Denkst du noch ihrer, Freund?

Ich will sie nützen zur Zeit!

So lange der volle Mond noch scheint,

Die Studirlampe der Welt,

Deren Öl nicht versiegt![150]

Die des Tigers Schlucht erhellt,

Wie's Nestlein, wo sich die Schwalbe wiegt.

Geh, mein Sohn, zur Ruhe; bald

Folg' ich dir nach in die bestimmte Kammer,

In der, wie du gesagt, der Hölle Gewalt

Soll weichen von mir und aller Erdenjammer.

WAGNER.

O nimmermehr

Verlass' ich euch in dieser Stimmung, Herr!

FAUST.

Sah eines Bettlers Bild, an dessen Grabe

Sein Hund vor Gram zu Tode sich geheult;

Seit ich das Bild gesehen habe,

Hat keine Todesangst mich mehr ereilt.

Mein Hund, du kennst ihn ja?

Als letzter Freund bleibt meinem Grabe nah,

Wenn auch aus Gram nicht eben.

WAGNER ängstlich umblickend.

O Meister, meine Glieder beben

Mir vor Entsetzen, laßt uns fort

Aus diesem Schreckensort

Ins traulich angewohnte Leben!

FAUST.

Geh nur voraus, ich folge dir von ferne,

Der schöne Mond leiht mir sein Licht,

Und geht er unter, glänzen andre Sterne;

Den Weg verfehlen kann ich nicht.[151]

WAGNER.

Ihr wollt es? Nun, so geh' ich denn voran,

Ihr folgt doch also gleich?

FAUST rasch die Phiole leerend.

Sogleich!


Er wankt und bricht zusammen.


WAGNER auf ihn zu.

O ew'ge Macht!


Starker Wetterschlag, der Sturmwind heult.


FAUST.

Willkommen, Nacht –

WAGNER.

Ach, Hülfe, Hülfe! O mein theurer Herr!

FAUST.

Das Leben nur – das Sterben ist nicht schwer.


Er stirbt.


WAGNER.

Ihr sterbt – Gott sei mit euch!


Eilt ab.

Ein Blitzstrahl fährt neben Faust in den Boden. Posaunenstoß. Ein Schatten schießt aus dem Hintergrunde auf die Leiche hervor; in diesem Augenblicke erhebt sich am Haupte die leuchtende Gestalt Juanito's, einen Palmzweig ausstreckend. Orgeltöne erschallen fernher, der Schatten versinkt.
[152]

Quelle:
Braun von Braunthal, [Karl Johann]: Faust. Eine Tragödie, Leipzig 1835, S. 144-153.
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