Das Lob Helenens

[46] Am Tage ihrer Vermählung


O Bräutigam, welch' eine Braut

Wird deinem Arm' zur Beute!

Bei meiner Leier schwör' ich's laut:

Die Krone schöner Bräute!


Wer zweifelt, wandre hin und her,

Rings um die alten Gleichen!

Kein schön'res Fräulein findet er,

In allen Königreichen. –
[46]

Ihr Blick verheißt ein Paradies;

Die Wang' ist Morgenröte;

Und ihre Stimme tönt so süß,

Wie König Friedrichs Flöte.


Noch mehr! Des Dichters Phantasei

Verrät es seiner Leier,

Daß ihre Lippe süßer sei,

Als Honig und Tokaier.


Ihr schlanker Wuchs – Doch wie vermag

Ich jeden Reiz zu singen?

Kaum reicht' ein langer Sommertag,

Ihr Loblied zu vollbringen.


Sie weichet nicht in Griechenland

Der schönen Namensschwester;

Doch hält ihr Herz das goldne Band

Der Liebestreu' weit fester. –


Sie hätten in der Wunderzeit

Der Riesen und der Mohren,

Die Paladine weit und breit

Zur Dame sich erkoren.


Ihr Name hätt' im Feldpanier

Den Rittern Mut geschimmert,

Und Schild' und Lanzen im Turnier

Zu tausenden zertrümmert.


Wär' sie geboren auf der Flur,

In jenen goldnen Jahren,

Als ritterliche Lanzen nur

Noch Hirtenstäbe waren:


So hätt' um sie, in Flur und Hain,

Ein jedes Lied geworben.

Wohl mancher wär' in Liebespein,

Nach Schäferart gestorben. –


Sieh, solche Braut zieht deine Hand

Hinweg aus unsern Blicken.

Wie neiden wir das fremde Land,

Das Helena soll schmücken!
[47]

Ach! welche Nachbarin ersetzt

Die unsern Nachbarsöhnen?

Und welche wird die Reigen jetzt,

Wie Helena, verschönen?


Du müßtest wohl mit blankem Speer

O Mann, sie erst erwerben,

Und billig schäferlich vorher

Ein paarmal für sie sterben! –


Doch wirst du künftig, ohne Leid,

Die auf den Händen tragen,

Und immer, nach Verdienst, wie heut,

Ihr Honigwörtchen sagen:


So sei es d'rum! Wir lassen sie

In Frieden unsertwegen.

Die Liebe segne dich und sie,

Mit ihrem besten Segen!


Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 46-48.
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