Der todte Hof

[203] »Die stehenden Gewässer

Sind immer doch viel besser,

Als jener Bergstrom wild

Der grausend überschwillt.«


»Der ist recht gut zum Mahlen,

Wir aber müssen zahlen,

Daß es über'n Haufen fällt,

Zu theuer ist ein Held.«[203]


»Viel Unglück wär' vermieden,

Wenn wir zu Hause blieben,

Wenn alles, wie es war,

Noch bliebe auf'n Haar.«


So dacht' der Hof und schließet

Das Thor, daß keiner grüßet,

Die große Gotteswelt

Wird gänzlich abbestellt.


Was lebt, soll leben bleiben,

Doch gar nichts Neues treiben,

Die Neigung wird verbannt,

Und alles wirkt Verstand.


Verstand kommt vom Verstehen,

Wer lahm, der kann nicht gehen,

Doch kommt es hier nur an,

Daß jeder scheinen kann.


Allmächtig ist Gewöhnen

Mit allem zu versöhnen,

Und schrecklich ist Gewalt,

Sie zeiget, wer schon alt.


Der alte Hahn soll wachen!

Wer kann ihn sehend machen?

Er geht auf einer Krück',

Hat einen kurzen Blick.


Die Enten müssen wackeln,

Die Hühner immer kackeln,

Doch sieht man nahe bei,

So ist es doch kein Ei.[204]


Die Katze will nicht mausen,

Der Hund soll sie zerzausen,

Doch hat er keinen Zahn,

Er bellt nur oft im Wahn.


»Daß Ordnung soll bestehen

Muß ich darauf wohl sehen!«

So spricht des Hofes Herr:

Was macht ihr solch Geplerr!


»Die Mäus laßt exercieren

Auf allen ihren Vieren,

Armirt sie nur recht schwer,

So laufen sie nicht mehr.«


»Ihr andern sollt euch setzen

Zum Spieltisch zum Ergötzen,

Weil jedermann betrügt,

So wird es nicht gerügt.«


»Die Gems kann sich da brüsten,

Der Kurr zum Radschlag rüsten,

Doch ruhig will ich sein,

In der Regierungs-Pein.«


Nun wird es still am Hofe,

Podagrisch wird die Zofe,

Die Feldern fallen aus

Aus Langeweil dem Straus.


Man sieht so kahle Platten

Wie Mondschein auf den Matten,

Sie wollen fetter sein,

In Reifröck ziehn sie ein.[205]


Weil keiner nichts vernommen,

An Hof auch keiner kommen,

So will das Volk doch sehn,

Ob Todschlag da geschehn.


Es meinen schon die Erben,

Der Hof sei im Ersterben,

Das Volk ist oft ein Thor,

Jetzt bricht es auf das Thor.


Da findet es mit Lachen

Die wunderbaren Sachen,

Der Kurr wird recht erbost,

Und sie zurücke stoßt.


Mit einem Marschallstabe,

Schlägt er wie mit dem Rade,

Das Volk verwundert sich,

Daß er so roth in sich.


Die Mäuse mit Gewehren

Für etwas Geld umkehren,

Das Schreiber Fuchs dann spricht,

Und giebt der Sache Licht.


»Der Hof behindert keinen,

Das Volk will gar nicht scheinen,

Im wuchernden Verkehr

Bedarf es keiner Wehr.«


»Das ist des Schöpfers Wonne,

Wenn er die helle Sonne

In gleichem Gleise sieht,

Kein Vorspann sie da zieht.«[206]


»Sie scheinet euch zu gehen,

Doch soll sie stille stehen,

Im rechten Stillestehn,

Da ist das rechte Gehn.«


Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Werke. Band 22: Gedichte, Teil 1, Bern 1970, S. 203-207.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon