Achtunddreißigstes Kapitel.

Gewitterschläge am schwülen Kimmel.

[330] Im Hause der Geheimräthin war es seit jenem glänzenden Abend still hergegangen; aber es war eine Stille, die von sich sprechen machte. Sie litt an Kongestionen des Blutes, Beklemmung des Herzens, und klagte über Visionen. Im Kreise der ihr liebsten[330] Menschen sah sie oft andere Gesichter. Sie redete eine Person an, und meinte eine andere; aber sie betheuerte, sie wisse sich darüber genau Rechenschaft, wenn der Zustand vorüber. Es wären nur nervöse Affektionen, über die die Aerzte keine Auskunft geben könnten. Sie sprach bitter von den Doktoren, und wollte nicht mehr von ihnen behandelt sein.

Die Gevatterinnen urtheilten verschieden über ihren Zustand. Sollte auch die Lupinus sich der Schwärmerei, dem Mysticismus, in die Arme geworfen haben, sie, auf deren Tisch man immer Moses Mendelssohn aufgeschlagen fand! Zwar etwas clairvoyant war sie schon in letzter Zeit gewesen, aber nicht mehr, als die Mehrzahl der zarter gebildeten Frauen es dazumal waren, oder sein zu müssen glaubten. Es waren bei ihr nur momentane Wallungen, und sie deutete dieselben nur für das Aufblitzen unbewusster Naturkräfte. Sie wollte keine Geisterseherin sein und erklärte sich gegen den Aberglauben.

Aber die Zungen waren fertig, über sie zu richten, und es giebt in einer großen Stadt böse Zungen. Wir übergehen das, was die Boshaften sich zuzischelten: es sei nur Aerger, weil ihre Gesellschaften nicht die Anziehungskraft geübt, die sie gewünscht, und die Exklusiven sich zur russischen Fürstin zögen, weil Prinz Louis durchaus nicht kommen wollen, und es möchte wohl einen besonderen Grund gehabt haben, warum sie den Prinzen so gern an sich gezogen. Worauf Andere hinzusetzten, der Prinz müsse auch wohl einen besonderen Grund haben, warum er nicht gekommen. Wir heben lieber heraus, was die mild Gesinnten zur Erklärung vorbrachten: sie sei zu fein, und weil ihr alles Rohe widerstrebe, wirke es afficirend, gewissermaßen revolutionirend in dem zarten Körper. Andere: sie, die für einen kranken, wunderlichen Mann zu sorgen, habe nun noch die Last für die Erziehung einer Pflegetochter aufgeladen. Was koste das nicht! Und ob es denn auch recht anerkannt würde! Demoiselle Adelheid sei wohl gut und schön, aber sie habe ein eigensinniges Köpfchen. Habe sie es nicht durchgesetzt gegen Aller Willen, daß sie mit ihrem Lehrer halb verlobt sei, einem jungen Menschen, der nichts hat und alle vernünftigen Aussichten von sich stößt. Nicht ihre Eltern hätten es gewünscht, die jetzt auch höher hinaus dächten, noch der Vater des jungen Mannes, der geradezu erklärt, er werde nie solche Schwiegertochter in sein Haus lassen. Um zu einer solchen Partie ihr zu verhelfen, hätte Madame Lupinus das schöne Mädchen auch nicht in ihres genommen, und nun sei doch ihre Lage gewiß nicht beneidenswerth: eine Pflegetochter hüten, an die keine Blutsbande sie fesselten, zu einer Verbindung das Auge zudrücken, die sie ungern sähe, und noch dazu die Verantwortung gegen die Eltern des Mädchens und gegen den alten van Asten,[331] von dem sie noch obenein einen unhöflichen Brief in die Tasche stecken müssen. Könne das nicht ein edelgesinntes Gemüth herunterbringen! –

In gewissen Kreisen sprach man von einem intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Legationsrath. Der Legationsrath behielt bei den Anspielungen seine vollkommene Ruhe, und rühmte die Bildung und den eminenten Scharfblick der geistreichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der klaren Ruhe des Verstandes eine Geliebte. Die Gevatterinnen wussten, daß er nur seltene Besuche machte, immer in der allgemeinen Besuchsstunde, sie wussten von der Dienerschaft, daß er sich stets in den Formen des feinsten Anstandes bewege. Ihre Gespräche flogen in höhere Regionen der Wissenschaft, oder betrafen Geschäfte. Die Lupinus besorgte selbst ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute Hypotheken nachgewiesen und die Pfandbriefe, die er für die sichersten hielt, anempfohlen. Er war ein Freund des Geheimrathes, den dieser oft stundenlang in seinem Studirzimmer festhielt. Wandel war ein lebendiges Lexikon für alle Ausgaben des Horaz. Und wie theilnehmend hatte er sich bei dem letzten Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn man den Todesfall des alten Bedienten so nennen kann. Wie lange war man darauf vorbereitet gewesen, obgleich Geheimrath Mucius gesagt, er könne sich noch zehn Jahre quälen. »Wie recht hatte Ihre Frau Gemahlin,« hatte er zum Geheimrath gesagt, »die immer besorgte, daß er an einem akuten Anfall Ihnen unter den Händen sterben werde. Und mit welchem Takt sie die Charlatanerie der Aerzte erkannt!« Als man Johann an einem Morgen todt neben seinem Bette gefunden, und alle Hausgenossen in die Kammer stürzten, war die Lupinus nur bis über die Schwelle gekommen. Hier ging ihr der Athem aus, die Kräfte versagten, und sie war in die Knie gesunken. Ihr Gatte und der Legationsrath mussten die Ohnmächtige aufheben. Wie liebevoll hatte er ihr da Worte des Trostes zugesprochen. Die Dienerschaft zerfloß in Thränen: »Warum erschrecken, meine Freundin, über Etwas, das nur eine Wohlthat des Himmels ist, für den armen Dulder, für uns Alle, die wir seine Leiden sehend mit ihm litten! Preisen wir vielmehr die Hand, die dies gethan. Sein Wille geschehe, der es gut, schnell und kurz gemacht!« Gestärkt durch seinen Zuspruch, hatte sie nachher an der Leiche gestanden, ihre Züge beobachtend. »So ist es recht,« hatte er gesagt: »dem was wir als gut erkannt, fest ins Auge gesehen! Wem helfen Thränen, wem weichliches Gefühl des Mitleids! Indem wir das eine Nothwendige erkannt, stärken wir unsere Nerven, um der Nothwendigkeit auch weiter ins Auge zu blicken, und wir mögen endlich den Sinn des alten Kirchenliedes erfassen: Tod, wo sind nun deine Schrecken!«[332] Sie war gestärkt worden. Sie hatte selbst am Beerdigungstage die Leiche mit frischen Blumen geschmückt. Die Dienerschaft, die Nachbarschaft waren davon gerührt, und das Lob der Geheimräthin war unter den gemeinen Leuten weit verbreitet.

Im Hause der Geheimräthin war es sehr still hergegangen, sagten wir, heut aber in der Mittagsstunde eines frischen Oktobertages drängten sich die Besuche. Die Regimenter von Larisch und Winning, von der Weichsel zurückberufen, marschirten durch Berlin nach ihrem neuen Bestimmungsort, der fränkischen Grenze. Die Straßen waren belebt, die Fenster besetzt. Der Durchzug erfolgte unregelmäßig, bataillonsweise; die Truppen, in Eilmärschen aus Polen herangezogen, hatten in ihren letzten Nachtquartieren keine Zeit gehabt, sich zu einem Paradezug zu ajustiren. Während Monturen, Gesichter, Haltung von den Strapazen der angestrengten Märsche sprachen, wirbelten aber die Trommeln und die Trompeten schmetterten Lustigkeit in die klare Herbstluft; der Jubel der Zuschauer überbot sie noch. Aus den Fenstern schwenkte man Tücher, auf der Straße drückte man den Soldaten die Hand; man reichte ihnen zu trinken, und während die Schnapsflaschen und die Semmelkörbe umhergingen, schickten patriotische Hausfrauen große Bunzlauer Kaffeekannen und Tassen hinunter. In der Küche der Geheimräthin brodelte ein Waschkessel, Adelheid hatte für den Soldatenkaffee und für die Chokolade der Gäste zu sorgen.

Diese standen in zerstreuten Gruppen an den Fenstern. Es gehörten nicht Alle zu einander.

Walter van Asten las aus einer fremden Zeitung einigen um ihn Stehenden einen Artikel vor: ›Dem Vernehmen nach hat der Herr Staatsminister von Hardenberg dem französischen Gesandten, Herrn Laforest, die Antwort ertheilt: Sein König wisse nicht, worüber er sich mehr zu verwundern habe, über die Gewaltthat des französischen Heeres, oder über die unbegreiflichen Entschuldigungsgründe dafür. Wie habe man Preußens aufopfernde Redlichkeit vergolten, das Opfer gebracht, die seinen theuersten Pflichten nachtheilig werden könnten. So könne man denn doch keine andern Absichten des Kaisers Napoleon annehmen, als daß derselbe Ursachen gehabt, die zwischen ihm und der Krone Preußen bestehenden Verpflichtungen für werthlos zu halten, und achte darum Seine Majestät der König sich selbst aller früheren Obliegenheiten entbunden. Frieden wolle Preußen auch noch jetzt, halte sich aber nun verpflichtet, seinem Heere die Stellung zu geben, welche zur Vertheidigung des Staates unerlässlich sei.‹

»Ja, es werden drei Heere gebildet, wie ich aus sicherer Quelle weiß,« bemerkte Jemand. Ein Anderer setzte hinzu: »Und es bleibt nicht bei der Rückberufung unserer Weichselarmee, sondern[333] wir haben auch den Russen den Durchzug durch Schlesien geöffnet.« Der Kriegsrath Alltag flüsterte seinem Nachbar ins Ohr: »Die Donschen Kosacken sind schon in Breslau angemeldet.«

Auch die Fürstin Gargazin hatte das Haus mit ihrem Besuch gewürdigt. Sie lächelte, zum Rath Fuchsius sich abwendend: »Mir will die Vorstellung einer Komödie noch nicht aus dem Sinn.« »In einer Stadt, wo das Theater eine so große Rolle spielt,« entgegnete der Rath, »ist dieser Gedanke sehr natürlich.« »Es wäre doch grausam,« fuhr die Fürstin fort, »wenn man mit den armen Menschen wieder nur Kämmerchen vermiethen spielte. Vom Rhein nach der Weichsel, und von der Weichsel nach dem Main!« »Das könnte das beste Heer demoralisiren,« äußerten Mehrere.

»Aus welcher Zeitung ist der Artikel, Herr van Asten?« fragte die Lupinus. »Aus dem Hamburger unparteiischen Korrespondenten, der heut Morgen ankam.« »Warum müssen wir das nun aus einem fremden Blatt erfahren! Ueber etwas, das uns so nahe angeht, lesen wir kein Wort in unsern Zeitungen.«

»Dann ist's auch vielleicht nicht wahr,« lächelte die Fürstin mit einem besonderen Blick auf den Regierungsrath. Es mochten mehrere den Blick verstehen. Fuchsius besorgte für die Hamburger Zeitung Regierungsartikel.

»Die erlauchte Fürstin,« entgegnete Fuchsius, »weiß, daß gewisse Regierungen schüchternen Jungfrauen gleichen, die in ihrer Gegenwart keine Schmeicheleien vertragen, hinter ihrem Rücken hören sie sich recht gern gelobt.«

»Ich kenne auch Regierungen,« setzte die Gargazin darauf, »die erschrecken, wenn man ihre Gedanken ausspricht, besonders, wenn sie gar keine haben.«

Der Kriegsrath Alltag wandte sich mit einem innern Schaudern ab. Er hatte nicht geglaubt, daß vornehme Personen so respektlos von der Regierung sprechen könnten.

Die Gruppe löste sich auf, als die Janitscharenmusik das Anrücken eines neuen Bataillons verkündete. Adelheid streifte mit dem Präsentirbrett an Walter vorbei »Ein bischen zuvorkommender gegen meinen Vater! Auch mit Mutter könnten Sie mehr sprechen.« Der Jubel am Fenster und auf der Straße ersparte ihm die Antwort.

Am lautesten ward es in dem kleinen Nebenzimmer. Eine weibliche durchdringende Stimme ließ sich vernehmen: »Nein, sag ich doch, so vieles Volk, und alle zum Todtschießen! 's ist grausam! – Sieh mal Fritz, wie sie blitzen! die Spontons! Da der mit dem rothen Federbusch! – Malwine, willst Du Dich nicht so 'rüber legen! – Was man mit den Kindern Noth hat. Und da das blutjunge Gesicht – ach du liebe Seele, der hinkt, hat sich[334] die Füße durchgelaufen. – Was 'ne unsterbliche Menschenseele nicht ertragen muß! – Und staubig, Alle wie gepudert! – Liebechen,« rief sie hinunter, – »sehn Sie, Dem da schenken Sie 'ne Tasse Kaffee! Er friert so, und ein so hübscher Mensch. – Sieht sie's wieder nicht, die Lisette! – Nu ist er fort! – Na, 's wird wohl noch andere mitleidige Seelen geben. – Was so ein Tornister drücken muß! – Fritz, wenn Du auch solche grausame Flinte auf dem Buckel tragen müsstest. – Nu paß Acht, nu kommt der Tambour. Hurrje, hurrje! hörst Du, wie er schlägt!«

»Will auch Trommler werden,« sagte der Junge.

»Nein, Fritzchen, da wirst Du todtgeschossen. Das ist nur für ordinaire Leute. Guter Leute Kinder, die sind zu was anderem da.«

»Will Trommler werden!« wiederholte der Trotzkopf. »Papa hat's gesagt.«

»Ja, wenn Du ein Taugenichts wirst, dann wirst Du unter die Soldaten gesteckt.«

Das Fritzchen schrie und stampfte auf die Erde. »Du Olle, Du sollst mir's nicht verbieten, Du hast mir nichts zu verbieten.«

»Range Du! Untersteh' Dich und kneif' noch mal. Wenn wir nicht bei hübschen Leuten wären, kriegtest Du eins hinter die Ohren, daß Du Dich wundern sollst.«

Die Geheimräthin war unbemerkt Zeugin des Auftritts gewesen. Sie brachte den Kindern Bretzeln und fragte: ob sie schon Chokolade bekommen.

»Ach du mein Gott, die gestrenge Frau sind auch gar zu gütig gegen die Kleinen!« rief Charlotte, die sich umgedreht. »Daß wir Ihnen auch so viel Inkommodität verursachen! Aber Kinder sind nun mal Kinder, und wer weiß, ob sie so was mal wiedersehen, sagte meine Cousine, die Frau Hoflackir. Ja sie gehen alle in den Tod.«

»Giebt es einen schönern als fürs Vaterland!« sprach die Geheimräthin mit Erhebung.

»Das sagte mein Wachtmeister auch, Frau Geheimräthin, aber, nehmen Sie mir's nicht übel, Tod ist doch Tod. Und eingebuddelt werden sie, ohne Sang und Klang, ohne Leichenhemd und ohne Sarg, wo sie stehen und liegen. Und der Fritz will absolut Soldat werden. Ist ein rabbiater Junge. Und mein guter Geheimrath, der die Güte selbst ist, Sie glauben gar nicht, wie er ihm schon auf der Nase spielt. Kinder sind Gottes Segen, o gewiß, aber sie können auch Gottes Fluch werden, wenn sie ausschlagen.«

Die Geheimräthin streichelte die Köpfe der Kleinen: »Geht,[335] liebe Kinder, in die andere Stube und lasst Euch Chokolade geben.«

Warum erschrak Charlotte heute nicht vor der Butterbretzel, welche die Frau mit den spitzen Fingern den Kleinen gab; warum kamen ihr diese Finger heut nicht spitz vor, als sie über die blonden Haare der Kleinen strich. Charlotte war auch jetzt in innerer Bewegung, aber es war eine andere, als sie plötzlich in Thränen ausbrechend den Saum des Kleides der Geheimräthin erfasste und es an die Lippen drückte: »Ach, Frau Geheimräthin, das müssen Sie mir schon erlauben. Es war doch zu schön. So einen ordinären Dienstboten unter die Erde zu bringen, und seine eigne Herrschaft! Das wird Ihnen Gott lohnen. Darüber ist auch nur eine Stimme in der Stadt. Und meine Cousine, die Frau Hoflackir, sagt, solch einen Sarg und von so schönem fettem Eichenholz, hat sie nicht gesehen, als ihr Mann seine Alte begrub, und das war ihr Glück, und ihr Mann versteht's; wenn der den Beutel aufthut, dann hält er nicht den Finger drauf. Aber der Silberbeschlag! Nein, Frau Geheimräthin, das ist es gar nicht. Was ist Silber? Unter der Erde rostet's, wir rosten Alle. Aber die Blumen, nein du mein Himmel Jesus nein. Wie ein Purpurri 'rüber geschüttet, wie ich da in den Hausflur trat, es knickte mir in die Knie, und ich wollt's nicht glauben, und die Menschheit! Vom Gensd'armenmarkt, vom Fürstenhause her, die Polizei konnte gar nicht durch, daß die Leichenträger nur Platz hatten. Und da war doch nur eine Empfindung.«

»Er war ein treuer Diener, und wir sind alle Menschen.«

»Aber doch mit Unterschied, Frau Geheimräthin. Und den Kranz von weißen Rosen, den Sie auf seine Todtenlocke gedrückt, und sein bleiches Antlitz! Er war mein Cousin, schluchzte ich, und meine Cousine, die Frau Hoflackir, sprach: Ja das Leben ist doch schön! Nein, Frau Geheimräthin, und wenn Sie mich eine schlechte Person nennen, Sie haben ihn sterben lassen, daß Mancher sagen möchte, so möchte ich auch sterben.«

Wenn eine Emotion sich in dem halb geschlossenen Auge der Geheimräthin kund geben wollte, so bemerkte es Niemand, Charlotte am wenigsten, denn helle Trompetenstöße lockten jetzt aufs Neue und unwiderstehlich an die Fenster. Jeder stürzte dahin, wo er Platz fand; Charlotte hatte einen, der ihr wohl nicht zukam, eingenommen, Arm in Arm mit der Baronin Eitelbach. Keine sah die Andere, keine gab auf die andere Acht.

»Ach da reitet er!« rief Charlotte, den Blick auf eine Schwadron der Gensd'armen gerichtet, die um die Ecke schwenkte. Sie gab den durchmarschirenden Dragonern nur das Geleit.[336]

»Ach da reitet er!« tobte es in einer Brust neben ihr, ohne daß die Lippen sich bewegten.

»Nein! wie viel schöner sehen doch unsre aus, als die Dragoner!«

Wunderbare Sympathie! Dasselbe dachte die Baronin.

»Wem gilt dieser Jubel?« fragte am andern Fenster die Fürstin. »Den neuen Uniformen, Erlaucht,« flüsterte Jemand hinter ihr. »Die bleiben in Berlin?« »Es wäre schade, sie dem Herbstwetter auszusetzen.« »Aber die armen maroden Truppen, die ins Feld müssen, werden es übel nehmen.« »Erlaucht! Das Futter fürs Pulver darf nichts übel nehmen.«

Plötzlich stieß Charlotte die Nachbarin in ihrer heftigen Bewegung fast zurück: »Er streicht sich den Bart; das gilt mir: ja, ja, ich seh's,« und damit er's wieder sähe, bog sie sich hinaus. Malwine und Fritz waren dafür gestoßen worden. Es war nicht nöthig, daß sie das Umschlagetuch sich abgerissen, der Wachtmeister ritt schon unter dem Fenster, und warf ihr Kusshände zu. Und wie keck schmunzelnd er wieder den Bart strich!

Die Baronin sah auch etwas, aber – sie ward blaß. Er strich nicht den Bart, nein; aber als er hinaufgeblickt, ihre Augen ihn getroffen, wandte er plötzlich den Kopf. Er setzte die Sporen ein und war zur Generalität geflogen. Sie sah ihn im Gedränge nicht wieder. »Ist Ihnen unpässlich, meine Gnädige?« fragte der Legationsrath, der, jetzt erst eingetreten, die Dame nach einem Stuhl führte. »Es wird bald vorüber gehen.«

»So ist es recht. Weinen Sie sich aus. Verhaltener Kummer ist für Seele und Leib gefährlich.«

Die Eitelbach hatte Zeit sich auszuweinen; bis auf die Kinder, welche die Einladung an den Chokoladentisch nicht umsonst vernommen, war kein lebendes Auge im Zimmer. Alle auf das Schauspiel draußen gerichtet. Prinz Louis selbst ritt vorüber, der Jubel hatte seinen Gipfelpunkt erreicht, und brach doch immer wieder von neuem aus. Tücher, Hüte, Mützen flogen. Es wollte nicht enden.

»Der Krieg ist ja noch nicht erklärt,« flüsterte der Legationsrath; »die Garde bleibt jedenfalls noch in Berlin, wenn Ihr empfindsames Herz vielleicht für einen dieser tapfern Krieger Besorgniß hegt.«

Die Baronin sprach es nur für sich: »Er sieht mich ja nicht an.« Sie bereute schon den Selbstverrath, als ihr Blick auf das verwunderte Gesicht des Legationsrathes fiel. Er rückte einen Stuhl heran.

»Theuerste Frau,« hub er nach einer Pause an, »erlauben Sie ein Wort des Vertrauens. Sie waren so gütig, mir jüngsthin[337] Ihres zu schenken, und es ruht in dieser Brust, wie in einem Grabe.«

»Sie wissen ja Alles.«

»Ich hielt es für längst vorüber; das Spiel des Windes auf einem Aehrenfelde.«

»O es wird auch wohl so sein. Sie werden recht haben, ganz recht,« brach es aus der bewegten Brust. »Aber er verfolgte mich ja letzthin so auffällig.«

»Besitzen Sie einen Brief von ihm? – sprach er Sie an?«

»Nein – aber – es war ja ganz klar – die Fürstin Gargazin –«

»Können Sie der auch ganz trauen? –« Der Legationsrath sah sich vorsichtig um.

»Sie ist eine seelensgute Frau. Schon vor acht Tagen versicherte sie mich, ich möchte mich vorbereiten, er könne sich gar nicht mehr halten. Sie hat ihn neulich bei sich in ihr Kabinet zurückgedrückt, er wäre im Stande gewesen, in ihrer Gegenwart mir zu Füßen zu stürzen.«

Der Legationsrath sah ernst vor sich hin und schüttelte den Kopf: »Das glaube ich doch nicht –«

»Als wir von der Waldow kamen, öffnete er mir den Wagenschlag. Ei, wie komm ich zu der Ehre, sagte ich.«

»Und er –«

»Er hatte schon, ganz träumerisch, einen Fuß auf dem Tritt, als mein Mann dazu kam und ihn einlud mitzufahren –«

»Worüber er zur Besinnung kam, das ist freilich sehr begreiflich.«

»Sahen Sie, wie er jetzt fortsah, als er mich erblickte?«

Er fasste sanft ihre Hand: »Einem Kavalier muß der Ruf seiner Geliebten über Alles gehen. Was der Rasende im verschlossenen Kabinet der Fürstin vielleicht gewagt hätte, wird er doch nicht vor tausend Augen sich unterstehen. Nein, da beruhigen Sie sich – und wenn er es gethan, so hätte ich ein Wort mit ihm reden wollen. Eine Bitte! Thun Sie sich Gewalt an. Verbergen Sie diese Gefühle. Sie sind zu schön und rein, die Welt ist Ihrer nicht werth. Möglich, das gebe ich zu, möglich, daß auch er Ihrer nicht werth ist. Aber erscheinen Sie dafür desto größer, und wenn er treu ist, bewahren Sie ihm das Vertrauen, ist er es nicht, sich die Größe, über ihren Schmerz erhaben zu sein. Meine Freundin,« sagte er aufstehend und drückte ihre Hand an seine Brust, »das Vergängliche gehört der Zeit, was aber in die Aeonen hinausragt, das ist das heilige Bewusstsein einer schönen Seele. Sie werden mich verstehen.«

Ganz verstand sie ihn nicht, aber es war gut, daß sie ihn[338] nicht fragte, denn die Gesellschaft war wieder im Zimmer. Nur der Major schien am Eckfenster noch draußen: »Das Friedrichs Heer!«

»Gerade in diesen Regimentern ist nichts geändert,« sagte Fuchsius.

»Jeder hat allerdings noch seine drei gepuderten Locken.«

»Sie marschirten doch vortrefflich –«

»Geknickte Glieder eines Riesenkörpers, die nicht mehr in einander klingen. Mein Freund, zuweilen will's doch auch mich beschleichen, als wäre es am gescheitesten, zur Friedenspartei überzugehen.«

Der Legationsrath wurde mit Fragen, was er Neues bringe, überstürmt. »Duroc ist abgereist.«

»Wirklich! Endlich!« rief es. »Mit einer Kriegserklärung?«

»Man hat ihm nur zu verstehen gegeben, daß man unter den obwaltenden Umständen das Freundschaftsbündniß als gelöst vielleicht zu betrachten genöthigt sein dürfte.«

»Und hat Laforest Pässe erhalten?«

»So unhöflich ist man nicht gewesen«

Die Fürstin lächelte: »Er denkt übermorgen eine Matinée zu geben.«

»Dies unterbleibt doch vielleicht,« sagte Wandel, »wenn Erlaucht mir erlaubt, das Gerücht mitzutheilen, was ich von der Börse bringe. Seine Majestät Kaiser Alexander wird hier erwartet. Der Oesterreichische Erzherzog Anton ist schon auf dem Wege nach Berlin.« Die Nachricht überraschte. Auch der Regierungsrath war frappirt: »Dieser Mensch weiß Alles.«

»Wenn wir nicht wollen,« sagte Eisenhauch, die Lippen zusammen beißend, »so zwingen uns Andere zum Ernst.«

Man beobachtete die Fürstin, um auf ihrem Gesicht die Bestätigung zu lesen. Man konnte nichts lesen; sie war mit Adelheid beschäftigt, der sie heut ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen schien.

»Herr von Wandel, Ihre Neuigkeiten sind noch nicht zu Ende?«

Er war gefällig, und gab eine Liste von Avancements und Verfügungen zum Besten: »Auch hat Herr von Bovillard mit seinem Sohne sich ausgesöhnt. Er will ihn wieder für den Staatsdienst gewinnen. Einstweilen hat der junge Bovillard Courierstiefeln anziehen müssen. Er ist fortgeschickt.«

»Da wird doch wenigstens ein Platz in den Gefängnissen frei,« sagte die Geheimräthin mit Bitterkeit und ihr Blick fiel auf Adelheid. »Ob zufällig, oder ob sie eine Veränderung auf ihrem Gesicht bemerkte?«[339]

»Meine holde Adelheid erschrak,« sagte die Fürstin, »bei Ihrer Nachricht von der Ankunft unseres Kaisers, Herr von Wandel. Sie stellt sich unter einem Kaiser aller Reussen einen orientalischen Despoten vor, einen Großmogul, vor dem Alles in Ehrfurcht auf den Boden stürzen muß. Ihr Lehrer wird ihr sagen, ein wie liebenswürdiger Kavalier Kaiser Alexander ist. Auch ein Welteroberer, aber – durch Huld und Güte gewinnt er die Herzen. – Doch mich dünkt, unser Neuigkeitsbote hat seinen Sack noch nicht ausgeschüttet. Was sagt die Falte auf ihrer Stirn?«

Der Legationsrath zuckte die Achseln: »Ich weiß nicht, ob ich die frohe Stimmung hier stören darf.«

Eine Aufforderung zum Reden dringt.

»Die Oesterreicher sind total geschlagen, Mack mit 6000 Mann gefangen, es existirt keine österreichische Armee an der Donau mehr. Der Courier kamschon heut Morgen an. Man hielt die Nachricht zurück, um den Jubel beim Durchmarsch der Truppen nicht zu dämpfen.«

Eine stumme Pause folgte. Die Janitscharenmusik eines neu vorüberziehenden Bataillons bildete dazu einen üblen Kontrast.

»Adieu Deutschland!« seufzte Fuchsius. »Viktoria!« rief der Major. »Das geht ans Leder. Die Haut lässt man sich nicht ruhig abziehen.« Die Fürstin warf einen ihrer himmlischen Blicke an den Plafond: »So musste es kommen, und es muß noch mehr kommen. Meine Herren, ich halte es für eine frohe Botschaft. Ja, der Mann ist groß, denn ein Größerer hat ihn gewürdigt, seine Geißel zu sein. Es soll noch mehr Blut fließen, um die Welt zu reinigen, und wir haben kein Maß für die Ströme, die da rauschen werden über die Länder.«

»Ach du mein Gott, das ist ja schrecklich!« rief die Kriegsräthin erblassend. Adelheid war zugesprungen, und umfasste die Mutter, die auf einen Stuhl gesunken war.

»Warum schrecklich,« sagte die Fürstin mit Holdseligkeit, »wenn es Sein Wille ist! Er, der die Haare auf unserm Kopfe gezählt hat, weiß auch, wen er opfern, wen er retten will. Und über seinen Erwählten schweben seine Engel. Einen weißen leuchtenden Fittich seh ich gebreit über dieses Kindes Haupt!« sprach sie und legte wie segnend ihren Arm auf Adelheids Locken.

Die von solcher Huld gerührte Kriegsräthin wollte aufstehen. Die Fürstin drückte sie sanft zurück: »Glückliche Mutter, auf deren Kindes Stirn die Worte des Dichters stehen:


Und was kein Verstand der Verständigen sieht,

Das schaut in Einfalt ein kindlich Gemüth!«


»Die Königin hat sich neulich sehr angelegentlich nach Ihrer Tochter erkundigt. Sie wünscht sie einmal zu sehen;« flüsterte die Fürstin[340] im Fortgehen mit holdseliger Herablassung zur Mutter. Sie glaubte in die Erde versinken zu müssen.

Die Harmonie der Gesellschaft, wenn man die Stille so nennen kann, die vom Eindruck der Nachricht hier noch herrschte, ward durch häßliche Kinderstimmen in der Nebenstube unterbrochen, und als Charlotte plötzlich in ein heulendes Geschrei ausbrach, stürzte die Gesellschaft dahin.

Der Rath und der Major, die nicht für Familienangelegenheiten gestimmt waren, ergriffen die Gelegenheit sich zu entfernen. Auf der Treppe sagte Fuchsius: »Der Frömmigkeit der Gargazin wäre es genehm, wenn ganz Deutschland in Brand und Flammen aufginge.«

»Damit Rußland es erlösen kann!« setzte der Major hinzu. »Es fragt sich da eben nur, wo die Scylla und wo die Charybdis ist.«

Das Familienereigniß, welches den Aufstand verursachte, war auch für die näher Angehörigen kein eben interessantes. Die Lupinus'schen Kinder, bei der Aufmerksamkeit, welche Prinz Louis und die Retter verursachten, sich selbst überlassen, waren über die Reste des Chocoladentisches hergefallen. Knabe und Mädchen hatten um die Wette »gestopft«, um die Zeit zu nutzen, wo man sie nicht beobachtete, und Fritz es angemessen gefunden, auf die Chololade und das viele Zuckergebäck einige Gläser süßen Weines zu gießen. Mit der Schilderung der Wirkungen, die sich hier zeigten, verschonen wir unsere Leser. Charlottens Aufschrei galt dem traurigen Anblick, den Malwine verursachte, die leichenblaß mit blauen Lippen, gläsernen Augen und krampfhaften Bewegungen auf dem Stuhle lag. Fritz saß, als die andern eintraten, noch wie ein Kobold auf dem Tisch, und machte den Versuch, mit grinsendem Gesichte aus der Flasche, die er in der Hand hielt, das Glas in der andern zu füllen, was ihm aber nicht gelingen wollte. Der süße Wein floß auf die Dielen. Was noch darauf erfolgte, überlassen wir der Phantasie des Lesers; aber der Knabe schlug, als er schon Kopf über vom Tische gefallen war, noch mit der Flasche, die er krampfhaft in der Hand hielt, um sich. Zwar verwundete er keinen der Andern, die herbeigesprungen waren, aber, indem die Flasche in Scherben zerschlug, sich selbst an den Schläfen.

Charlotte schrie wie besessen: »Sie stirbt!« Den Kindern sei's angethan! Andere: »Ein Doktor! Schnell einen Doktor!« Nur die Geheimräthin hatte ihre Besinnung behalten: »Was wird es sein! Die Kinder haben sich den Magen überladen. Irgend ein Hausmittel, Legationsrath.«

Die kurze Zwischenzeit, wo Walter und Adelheid zugleich hinausgestürzt waren, um nach einem Arzt zu schicken, und die noch[341] Anwesenden Miene machten sich zu entfernen, füllte Charlotte mit ihren Lamentationen, bis die Geheimräthin ihr ins Wort fiel; sie meinte, hier sei nichts weiter zu beklagen als ein Ungeschick, ein trauriger Zufall oder die vernachlässigte Erziehnug der Kinder.

Das Glück wollte, daß ein Regimentsarzt schon vor dem Hause angetroffen ward, und auch der Vater der Kinder vom abgeschickten Boten bereits auf dem Herwege gefunden und benachrichtigt war. Der Chirurg erklärte beider Zustand für gefährlicher als die Geheimräthin gedacht; Malwine, deren Natur sich nicht selbst geholfen, bedürfe eines Blutlasses; aber er musste die herangeholte Lanzette noch sinken lassen, weil die Wunde an der Schläfe des Knaben so nahe an die Arterie streifte, daß, wenn er nicht rasch hier mit einem Verbande zu Hülfe komme, eine Verblutung zu besorgen stand. Wir wissen wirklich nicht, ob es, nachdem dieser Verband erfolgt, noch nöthig ward, auch das Blut des kleinen Mädchens zu fordern, denn die Kinder wurden in eine Nebenstube geschafft, und der Legationsrath, der hülfreiche Hand dabei geleistet, erklärte, als er zurückkam, er hoffe, daß andere Mittel ausreichen würden.

Aber um noch die Peinlichkeit der Situation für die noch Gebliebenen zu vermehren, erhob sich in der Nebenstube ein neuer Wortwechsel, von dessen Heftigkeit man überzeugt sein wird, wenn wir sagen, daß Charlotte die Angeklagte war, der Geheimrath der Kläger, und die Geheimräthin, die angerufene Richterin, sich der Angeklagten nicht anzunehmen schien. Charlotte war ihr eigner Advokat, und der Geheimrath von der Vogtei konnte, wie wir wissen, wenn die Gelegenheit es mit sich brachte, auch außer sich gerathen. Er folgte der entgegengesetzten Maxime seines Bruders: er hielt Emotionen nicht für das Gift, sondern für eines der Präservativmittel des Lebens. Seine Freunde meinten, er alterire sich am liebsten vor dem Mittagstisch, weil dies dem Organismus des Magens zuträglich sei; jedoch immer nur mit Maß.

Doch als er jetzt aus dem Krankenzimmer herausstürzte und Charlotte hinter ihm, schien er eher der Verfolgte. Sie wenigstens schrie in die Versammlung hinein, ohne im geringsten von den respektablen Personen Notiz zu nehmen: »Meine Cousine, die Frau Hoflackir, hat mir wohl gesagt: Warum giebst Du Dich noch mit ihnen ab, warum opferst Du Dich ihnen! Du kennst sie ja, und Undank ist der Welt Lohn. Ja, ich kenne sie, und Undank bleibt der Welt Lohn!«

»Charlotte,« rief das blasse Gesicht der Geheimräthin, die an der Schwelle stehen blieb. »Bedenke Sie, wo Sie ist.«

»Ja, Frau Geheimräthin, das bedenke ich auch, und Sie sind eine nobel gesinnte Dame, und wer Domestiken behandelt, wie er[342] es selbst verdient, der ist rechtschaffen vor Gott und vor den Menschen. Denn wir Domestiken sind auch Menschen vor Gott und unsrer Herrschaft, und ich brauchte es ja nicht zu sein, sagt mein Cousin, der Herr Hoflackir. Ja wenn der nur hier wäre! Der würde ein Wort sprechen, aber ich bin eine vereinzelte unglückliche ledige Person. Und darum sind der Herr Geheimrath so unverschämt. Hab ich denn die Chocolade gesoffen?«

»Charlotte!« wiederholte die Geheimräthin.

Der Vogtei-Lupinus war auf dem Gipfelpunkt seines Zornes: »Sie soll mir nicht wieder vor's Gesicht.«

»Das will ich auch gar nicht. I bilden Sie sich das nur nicht ein. Und wenn sie's mir auch nicht sagten. Gott bewahre, daß ich noch einen Fuß in das Haus thäte, wo man eine rechtschaffne Person so maltraitirt. Meine Cousine, die Frau Hoflackir, hat auch gesagt, sie könnt's nicht begreifen, warum ich's so lange ausgehalten. Ja, was thut der Mensch nicht, wenn die Kinder uns ans Herz gewachsen sind. Und nun soll ich die Schuld sein! O du gerechte Güte! Hab' ich sie zur Chocolade invitirt? Hab' ich die Bretzeln gebacken? Wer weiß denn was der Kuchenbäcker rein gethan.«

»Charlotte, ich bitte Sie, sei Sie stille,« sprach die Geheimräthin, die Hand am Herzen. »Sie weiß nicht, was Sie redet. Sie ließ die Kinder außer Acht.«

»Wird mir das auch angerechnet!«

»Sie pflichtvergessenes, –« schrie Lupinus – »derweil Sie am Fenster das Maul aufsperrte.«

»Weil ich ein Gemüth habe, weil ich für meinen Gott und meinen König und unser herrliches Militär zum Fenster raus sah, weil ich als gute Patriotin mein Herz ausschüttete! Nein, das geht mir doch über Alles. Nu, kommen Sie mir wieder! Sag' ich doch – nu Kinder hin, nu Alles hin, nu adjö sag' ich Ihnen. Sie sollen mich nicht wieder sehen, Herr Geheimrath, nu mag's gehn, wie es will, und wo ich hin will, das weiß ich. In Ihr Haus zurück? – I Gott bewahre! Sie können meine Sachen raus schmeißen lassen, auf den Schinkenplatz. Was Sie wollen, wie Sie wollen, immer zu! O das genirt mich noch nicht so viel, wie Ihre ganze Wirthschaft nicht, mein Herr Geheimrath! Was ist für mich die Welt noch, wenn man so mit meinem Herzen umgeht! Aber nehmen Sie sich in Acht. Mein Cousin, der Herr Hoflackir, weiß was ich habe. Der zählt jedes Stück nach. – Vors hall'sche Thor will ich, aufs Grab der seligen Frau Geheimräthin, da will ich sprechen, da will ich mich ausweinen, da will ich klagen, da will ich mir ein Leids anthun – denn ich kann nicht leben ohne die Kinder!«[343]

Roth vor Echauffement drängte sie durch die Anwesenden nach dem Fenster und riß das Tuch an sich, das die erschrockene Baronin mit ihrem Rücken zufällig fest hielt:

»Das ist mein Umschlagetuch!«

So ging sie hinaus, doch die Thür noch in der Hand, fing sie heftig an zu schluchzen, ihr Peroriren war aber diesmal an die Wirthin gerichtet:

»Und das muß ich Ihnen sagen, Frau Geheimräthin, und wenn Sie mich für eine schlechte Person halten. Die Kinder lassen Sie nicht zu ihm, nein um Gottes Willen, das thun Sie nicht. Bei ihm sind sie in Grund und Boden verloren, der Herr Geheimrath verstehen nichts von der Erziehung. Das Mädchen verdirbt und der Junge auch, sonst hätten sie auch nicht die Chocolade aufgetrunken, aber sie lernen's von ihrem Vater, Gott straf' mich, der kann auch nichts stehen lassen, er muß in Alles die Nase stecken und kosten. Und die selige Frau Geheimräthin werden vom Himmel runter sehen und's Ihnen lohnen. Und handeln Sie an diesen Kleinen, wie sie – o Gott! an meinem Cousin gehandelt haben.«

Unter noch heftigerem Schluchzen flog die Thür hinter ihr zu. Daß die kranken Kinder einstweilen bei der Geheimräthin blieben, war eine Sache, die sich von selbst verstand, denn der Arzt hatte schon erklärt, sie dürften auf keinen Fall fortgeschafft werden. Warum aber der Geheimrath nach einer Weile auf sprang, und den Hut ergriff, um der Köchin nachzueilen, blieb zweifelhafter. Er sagte, es geschehe, um nachzusehen, damit die desperate Person nicht sein Haus von oben zu unten kehre. Es gab indeß in der Gesellschaft Einige, die meinten, es wäre nur um sein Mittagessen. In seinem Affekt hatte er nicht bedacht, daß sein Schicksal noch in Charlottens Händen ruhte.

Der Aufbruch war jetzt so allgemein, als die Verstimmung. Walter empfing für seinen ehrerbietigen einen sehr kalten Gruß vom Kriegsrath Alltag; die Kriegsräthin musste in einer eigenen Laune sein, denn sie zupfte noch ihren Mann, warum er sich so lange aufhalte? Auch der Geheimräthin bewies sie lange nicht mehr die Ehrerbietung und gerührte Dankbarkeit, mit der sie sonst von dieser gütigen und unvergleichlichen Frau Abschied nahm. Kaum aber war sie die Treppe hinunter, als es die Brust nicht mehr hielt: »Mann, hast Du gehört, Ihre Majestät die Königin hat sich nach unserer Adelheid erkundigt!« – Der Mann sagte: »Hm!« und meinte, man müsse auch nicht alles glauben, was vornehme Leute sagen. »Aber,« erwiderte sie, »eine Fürstin kann doch nicht lügen!« Und als er meinte, es könne wohl etwas daran sein, es werde aber nicht alles so sein, sprach sie: »Daß aber die[344] Königin auch nur von unsrer Tochter weiß, daß sie überhaupt auf der Welt ist, das hattest Du und ich uns doch nicht im Traume einfallen lassen!« Sie hatte immer geglaubt, die Könige wüssten von den einzelnen Menschen gar nichts, und die Individuen verschwömmen ihnen, wie man von einem hohen Berge eine Landschaft sieht.

Walter und Adelheid nahmen im Vorzimmer Abschied. Es musste auch hier etwas von Verstimmung sein. Sie meinte, er hätte sich doch überwinden können und zuvorkommender gegen ihre Eltern sein. Er sagte, es habe ihm etwas die Brust zugeschnürt. Sie entgegnete, auch auf ihrer Brust laste es wie ein Alp – »und ich überwinde es doch,« sagte sie, und zwang ihr Gesicht zu einem heiter lächelnden Ausdruck.

»Wenn ich Dich erst aus diesem Hause fort wüsste,« sagte er nach einer Pause.

»Wünsche es nicht,« entgegnete sie. – »Und wohin? So lieb ich meine Eltern habe, so fühle ich doch, dahin passe ich nicht mehr.«

»Du verlangst nicht nach Glanz und Reichthum –«

»Aber –« unterbrach sie ihn und schwieg plötzlich. »Daran bist Du auch schuld; warum hast Du aus mir eine Andre gemacht, als ich war –«

Er ging mit einem stumm wehmüthigen Händedruck.

An der Thür wandte er sich noch einmal um. Sie war ihm nachgeeilt und hielt den Kopf an seine Brust: »Gieb den Muth nicht auf, Walter. Ich lerne mich täglich mehr überwinden und es wird alles besser wer den – für uns Beide.«

Der Legationsrath hatte beim Hinausbegleiten die Hand der Baronin Eitelbach sanft ergriffen: »Meine Freundin, mir ist eingefallen, haben Sie sich auch nichts vorzuwerfen? Ich meine keine Schuld, aber vielleicht doch irgend einen geringschätzigen Blick, eine Bewegung – Sie wissen, Männer sind eitel, und Verliebte leicht gereizt. – Sinnen Sie darüber nach!« hatte er theilnehmend hinzugesetzt, als sie ihn erschreckt anblickte, und klopfte sanft auf ihre Hand.[345]

Quelle:
Willibald Alexis: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Vaterländische Romane, Berlin: Otto Janke, 4[1881], Band 7, S. 330-346.
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